Heft 
(1993) 55
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zum Untergang verurteilten politischen Emporkömmling zu gestalten sucht. Es sind Erfahrungen seiner Epoche, die Fontane in dieser historischen Kostüm- Erzählung (ein Typus, den er als Kritiker später wiederholt abgelehnt hat) behandelt, Reflexe der ungeheuren Erschütterung, die das Ausnahmeschicksal Napoleons für Europa, besonders für Deutschland, bedeutete. Die vorausge­gangene Epoche der Legitimität und der fortschreitenden Vernunft hatte keine Vorbereitung geliefert,dies Meteor" - wie Fontane in einer Vorstudie zu Vor dem Sturm notiert - genügend zu verstehen. Die Literaten haben Napoleon ver­herrlicht und verdammt. Vor allem haben sie ihn gründlich dämonisiert. Vor dem Sturm, fünfzig Jahre nach dem Untergang der Großen Armee begonnen, beschwört ein weiteres Mal die dramatischen Vorgänge, die die Eltern des sechzigjährigen Autors als junge Menschen erlebten, erweist sich aber zugleich als ein Werk maßvollen künstlerischen Geistes: Nur mittelbar, in Erzählung und Gespräch und in der Wirkung auf die Charaktere, wird das Verhängnis Einlaß finden.

In seiner Besprechung von Gustav Freytags Ahnen - die ebenso wie die umfangreichen Studien über Walter Scott (1871) und Willibald Alexis (1872) als theoretische Vorarbeit zu Vor dem Sturm aufgefaßt werden kann - hat sich Fon­tane 1875 klar entschieden:Der Roman soll ein Bild der Zeit sein, der wir selber angehören, mindestens die Widerspiegelung eines Lebens, an dessen Grenzen wir selbst noch standen oder von dem uns unsere Eltern noch erzählten." Und er fährt fort:Auch der historische Roman ist an die Scottschen 'Sixty years ago' nicht unter allen Umständen gebunden und darf die Historie rückwärts durchmessen, so weit sie reicht. Aber er wird es nur in ganz besonderen Fällen dürfen - die Mehrzahl der geschichtlichen Romane ist einfach ein Greuel."8 6 Wir wissen nicht, warum Fon­tane Wolsey unvollendet ließ, aber wir werden kaum fehlgehen, wenn wir den Grund dafür in seiner selbstkritischen Einsicht suchen. Der Sprungvon den Tudors auf die Puttkamers", also die Rückkehr des Erzählers in die ihm vertraute märkische Region, war zugleich eine Hinwendung zu künstlerischem Realis­mus. Was der Heimkehrende mitbrachte, war die Erfahrung der 'Welt'.

Die bewußte Rückwendung zur Mark und ihrer Geschichte - nicht allein aus Liebe zur Heimat, die ihm freilich die seelische Spannkraft dazu gab, sondern aufgrund eines besonnenen schriftstellerischen Kalküls -, das war die Quintes­senz des Aufenthalts in England von 1855-1859. An Irritationen hatte es nicht gefehlt, nachträglich betrachtet aber erscheint Fontanes Weg folgerichtig und klar. Schon lange bildeten England und Schottland, Preußen und die Mark als historische Länder und Landschaften die Fundgrube seiner poetischen Stoffe. Ihr politisches und kulturelles Leben in der Gegenwart war bestimmend für seine Existenz. Persönlich bestand zwischen diesen Stoffkreisen, diesen Län­dern für ihn eine Verbindung, die sich oft bestätigt hatte. Die ersten Pläne zu den Wanderungen hat Fontane charakteristischerweise im Anschluß an Reisen auf der britischen Insel zu Papier gebracht: im August 1856 nach der Tour in die Midland Counties und dann wieder im September 1858 unter dem Ein- drug ck der Reise nach Schottland. In dem visionären Bild von Rheinsber während der Fahrt auf dem Leven-See, das im Vorwort zur ersten Auflage der Wanderunged n entfaltet wird, in den Erinnerungen an das Havelland währen de- r Fahrt auf dem Forth in Jenseit des Twee d haben diese lange und durch poe

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