sahen es nicht wenige seiner Lieblingsgestalten in Geschichte und Dichtung. Der Dichter respektierte ein „ideelles, sittliches Altpreußentum (...) altpreußische Haltung in einer modernen, vorwärtsgerichteten politischen und sozialen Umgebung war sein Wunschtraum", wie Kenneth Attwood formuliert hat.” Dem Fontane der ersten Wanderungen- Bände blieb es vorbehalten, in hervorragenden Gestalten des märkischen Adels gleichsam die Inkarnation der altpreußischen Wesenszüge wahrzunehmen und darzustellen. Das wirkt auch in Vor dem Sturm erkennbar nach. Was Fontanes Vitzewitz von seinem Vorbild Marwitz dennoch trennt, hat de Bruyn kürzlich gezeigt.93
Ungeachtet aller Mehrdeutigkeit, die Fontanes Werk durchzieht, gibt es auch bei diesem 'unsichern Kantonisten' Konstanten. So ließe sich etwa auf die Frage, was Fontane vom Adel erwartete, antworten: „Humanität" und „Gesinnung", Treue zu den eigenen Wahrheiten und Originalität. Mit den Worten des alten Vitzewitz, die auch im Stechlin stehen könnten, sind „Profile" und „Gesinnung" das Beste, was der Adel hat . 94 Der Dichter und Wanderer hielt daran fest, daß die Junker in ihren allerbesten, geistig unabhängigen Vertretern in Freiheit loyal dem gerechten Staate dienen, aufrecht oppositionell dem ungerechten widerstehen könnten. Er achtete den Mut, der für ihn immer der Mut einzelner war, er anerkannte die historische Rolle, die dem Adel in der Vergangenheit zugefallen war und die ihre Bedeutung für die Gegenwart nicht verloren hatte - mochte sie nun weiterhin von den 'alten Familien' oder von anderen gespielt werden. Wenn in Vor dem Sturm Marwitz zum Vorbild für Berndt von Vitzewitz wurde, so nicht in seiner Eigenschaft als Wortführer der in Opposition gegenüber den Steinschen Reformen verharrenden Adligen. Vorbildhaft wirkten seine Zivilcourage und sein Verantwortungsgefühl. Daß für einen Adel, wie er Fontane vorschwebte, die durch die Abkunft vorgezeichneten Grenzen nicht unüberwindlich sind, macht der Roman ganz deutlich. Und die Kraft der Erneuerung lebt in allen Volksschichten. Der kleine Krieg des adligen Frondeurs in Vor dem Sturm empfängt seine Ehre besonders aus dem tapferen Tod zweier Bürgerlicher, von denen der eine ein Konrektor, der andere ein Student der Theologie und Dichter ist.
So verbirgt sich in Vor dem Sturm - wie auch der von Fontane mit untertreibender Selbstironie als „Nachmittagspredigt" bezeichnete Brief an Wilhelm Hertz belegt - grundsätzlich nicht anders als im Stechlin ein politischer Zeitroman. Wurde er auch als ein solcher gelesen? Über die Rezeption Fontanes in der zeitgenössischen konservativen und liberalen Berliner Tagespresse hat eine Untersuchung von Luise Berg-Ehlers neues Material bereitgestellt . 95 Vor dem Sturm erzielte einen Achtungserfolg, aber insgesamt gibt es wenig Anhaltspunkte dafür, daß das Werk zu seiner Zeit in der vom Autor skizzierten Weise vom Publikum gelesen und verstanden wurde. Auch für seine bereits zum Gesell- schaftsroman tendierende Kunstform gab es nur wenig Aufmerksamkeit. Fontane blieb für das gängige Vorurteil noch lange überwiegend der „märkische Wanderer (und ist es für einen bestimmten Leserkreis wohl immer noch).
Man wird zugeben müssen, daß die langsamen und mühevollen Wege, die Fontane als Erzähler gegangen war, ein solches Vorurteil begünstigen konnten. Das Mißverständnis, dem er sich ausgesetzt sah, hat er schon bald beklagt. In einem Brief über Schach von Wuthenow heißt es: