Heft 
(1993) 55
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Die gesammte deutsche Presse verfolgt mir wie andern gegenüber beständig den Zweck, einen bestimmten Schriftsteller an eine bestimmte Stelle festnageln zu wollen. Es ist das Bequemste. Mein Metier besteht darin, bis in alle Ewigkeit hinein, 'märkische Wanderungen' zu schreiben. Alles andre wird nur gnädig mit in den Kauf genommen. Auch bei Schach tritt das wieder hervor, und so lobt man die Kapitel: Sala Tarone, Tempelhof und Wuthenow. In Wahrheit liegt es so: Von Sala Tarone hab ich als Tertianer nie mehr als das Schild über dem Laden gesehn. In der Tempelhofer Kirche bin ich nie gewesen und Schloß Wu­thenow existiert überhaupt nicht, hat überhaupt nie existiert. Das hindert aber die Leute nicht zu versichern,ich hätte ein besondres Talent für das Gegen­ständliche", während doch alles, bis auf den letzten Strohhalm von mir erfunden ist, nur gerade das nicht, was die Welt als Erfindung nimmt: die Geschichte selbst. 96

Fontane will als Künstler verstanden werden, darauf zielen alle seine Selbstäußerungen, so etwa 1888 in Verbindung mit Frau Jenny Treibel:

Ich schließe mit dieser Geschichte den Zyklus meiner Berliner Romane ab (...) und habe vor (...) mit einem ganz balladesken historischen Roman, der um 1400 spielt, abzuschließen. Die Leute mögen dann sehen, daß ich auf Zoologischen Garten und Hankels Ablage nicht eingeschworen bin (..09 7

Mit dem Roman, der um 1400 spielt, sind Die Likedeeler gemeint, von denen nur ein künstlerisch wenig aussagekräftiges Fragment überliefert ist. Den Zyklus seiner Berliner Romane schloß Fontane mit Frau Jenny Treibel nicht ab, und die Mark behauptete für den Liebhaber der London-Brücke ihre Faszination bis zuletzt. Noch im September 1898, im letzten Monat seines Lebens, will ernoch einmal zu alten Göttern (in der Tat bis auf Triglaff usw.) zurückkehren. Ich will ein Buch schreiben, das etwa den Titel führen soll:Das Ländchen Friesack und die Bre- dows'. Diesem wiederholt in Angriff genommenen Plan galt die letzte Auf­wallung seiner künstlerischen Kraft. Die Korrektur des Stechlin hatte er soeben beendet.

5 .(...) die Wurst von der andern Seite

Wiederholt sind Vor dem Sturm und Der Stechlin miteinander verglichen wor­den, der erste mit dem letzten Roman. Fontane selbst hat damit begonnen. Einen Romanvon beinah gleicher Dicke" wie Vor dem Sturm, derstatt im Oder­bruch in einem Ostwinkel der Grafschaft Ruppin spielt", so schreibt er im Novem­ber 1897 an Friedrich Paulsen, hoffe erin Jahresfrist" überreichen zu können. Er ist auch patriotisch, aber schneidet die Wurst von der andern Seite an und neigt sich mehr einem veredelten Bebel- und Stöckerthum, als einem alten Zieten- und Blücherthum zu." 99 Zum ersten Mal seit 20 Jahren hat ein Roman Fontanes sei­nen Hauptschauplatz wieder in der Mark. Dieser Schauplatz ist fingiert, soweit es sich um das Schloß der von Fontane ebenfalls erfundenen Familie von Stech- nn handelt, nicht aber in bezug auf den sagenträchtigen See, den der Dichter offensichtlich 1873 zuerst besucht und im KapitelDie Menzer Forst und der große Stechlin" der Wanderungen beschrieben hat. 100

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