den Schauplatz bilden, um über n „Gott und die Welt " zu sprechen - und ma darf die Wendung ganz wörtlich nehmen -, ist die Darstellung dieses Lokalen zweifellos nicht mehr um seiner selbst willen da. Die Tendenz, alles Stoffliche einem künstlerischen Verwandlungsprozeß zu unterwerfen, ist in Fontanes Romanschaffen von Anfang an spürbar gewesen. Im letzten Roman aber, die- sem „Roman der Sprache" (Ingrid Mittenzwei) hat dieser Prozeß der Vergeisti- gung, „Verklärung", seinen Höhepunkt erreicht. Andererseits führt er jedoch auch imr Stechli n nicht dazu, daß sich das Stoffliche völlig verflüchtigt. Darübe hat bereits Thomas Mann in seiner Besprechung des Buches von Conrad Wan- drey 1919 mit dem „jungen Gelehrten" ironisch-ernsthaft gerechtete .10 4 Di Eigenart der Fontane-Welt bleibt erhalten, weder Gestalten noch Örtlichkeiten wären beliebig auswechselbar, man kann, wie Eda Sagarra gezeigt hat, den Stechli- n auch wirklich als politischen Zeitroman lesen .10 5 Die Bezeichnung „Poe tischer Realismus" erfaßt den Stil dieses Werkes aber nur in ganz unzulängli- cher Weise6 .10
Worin gründen nun zuletzt die Wahrheit und der Reiz des Fontaneschen Satzes über die Themse und den Stechlinsee, da es doch, wie der Roman lehrt,- „unan fechtbare Wahrheitene " überhaupt nicht gibt - „und wenn es welche gibt, so sind si langweilig"1 07 ? Man könnte meinen, in einem komödienreifen Einfall, der - wie so viele der für Fontane bezeichnenden Sätze und Stilfiguren - sehr einfach und ein wenig trivial ist. Alles, was an Konkurrenz und Kampf in der Gegenüberstellung mitschwingen könnte, wird durch diesen Einfall versöhnt und wohl auch des letzten Ernstes entkleidet.
Die durch ihren Lebensgang so unterschiedlich geprägten Schwiegerväter Dub- slav von Stechlin und Graf Barby ähneln einander wie Zwillingsbrüder: „(...) derselbe Bismarckkopf, dasselbe humane Wesen, dieselbe gute Laune. Barby hat, wie wir bereits wissen, wegen der Jahre in England das „Übergewicht , Dubslav aber ist „ausgiebiger und wohl auch origineller", wie Woldemar im Tagebuch festhält. 108 Also nichts von Inferiorität dessen, der in seinem Grafschaftswinkel sitzt und das gelobte England nicht kennengelernt hat! Bei der Hochzeit des jungen Paares begegnen sich Dubslav und Graf Barby auch persönlich und kommen vorzüglich miteinander aus. Für Woldemar sind diese Zwillingsbrüder im Geiste sozusagen Programmväter, mit beiden fühlt er sich im Einklang, aber die beiden sind, ungeachtet ihrer Verschiedenheit, im Einklang auch miteinander. Ein sublimer Kunstverstand ist hier am Werke, zugleich der Kunstverstand eines ganz alten Autors, der sich bewußt ist, an der Schwelle des Todes zu stehen, und der über Grenzen hinausdrängt. Auf Grenzüberwindung, auf Ausgleich scheinbarer Gegensätze zielen zuletzt alle lebendigen Kräfte in diesem Roman, die Erzählung von dem portugiesischen Volksheiligen Joao de Deus ebenso wie die Behandlung der immer wieder aufklingenden Alt-Neu-Proble ma tik. „Besinnt er sich" , sagt zuletzt Dubslav von seinem Sohn zu Pastor Loren zen, „und kommt er zu der Ansicht, daß das alte Preußen mit König und Armee, trotz all seines r Gebresten und altmodischen Geschichten, doch immer noch besser ist als da vom ne- uesten Datum (...), dann, Lorenzen stören Sie diesen Prozeß nicht. Loren zen verspricht es, er streichelt die Hand des Kranken, inhaltlich widerspricht er n lcht , er stimmt auch nicht zu. „Sprechen hat seine Zeit", antwortet er mit dem Prediger der Bibel (3. Kap., Vers 7) „9 und Schweigen hat seine Zeit."1 0
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