Die Mahnung Dubslavs - ihm bleibt nur noch ein Tag zu leben - betont keinen wirklichen Konflikt mehr. Als einer der Alten vom Cremmer Damm und von Fehr- bellin her"on 1 1 0, zu denen er sich ausdrücklich zählt, bedient er sich nur der ihm v Jugend auf vertrauten Bilder und Gedanken. Lorenzen und er sind sich in ihrem Gefühl einig, das Gespräch schließt mit einem Lächeln.
Ebenso ist es keine Entscheidung ausschließlich für die Vergangenheit, wenn sich in Woldemar, dem neuen Schloßherrn,n „das alte märkische Junkertum, vo dem frei zu sein er sich eingebildet hatte, allmählich (...) zu regen beginnt'", er seinen Abschied vom Regiment nimmt und in den Grafschaftswinkel zurückkehrt, wie das Schlußkapitel mitteilt. Zwar endet so, äußerlich betrachtet, die Erzählung wie das Hornberger Schießen. Aber der Roman hat seine Themen ausdisputiert, zwischen 'Region' und 'Welt' ist wie zwischen 'Alt' und 'Neu' ein Gleichgewicht der Erörterung erreicht.
6. Epilog
Eine persönliche Nachbemerkung in Rücksicht auf den Anlaß, aus dem ich zu Ihnen gesprochen habe und die heutige Situation: Sie haben mir für eine - überlange - Vortragsstunde Ihre Aufmerksamkeit geschenkt, und vielleicht beschleicht Sie angesichts dieser etwas blaß wirkenden Formulierung „Gleichgewicht der Erörterung" die Frage nach dem Resümee. Der Vorhang zu und alle Fragen offen? Das letztere gewiß, das erstere nicht, denn mit allem, was ich sagte, wollte ich immer zugleich auf sich anschließende Fragen hinweisen. Die Auseinandersetzung mit Fontane beginnt immer von neuem. Bewußt habe ich hingegen alles zu vermeiden gesucht, was unter Berufung auf ihn wie eine in bestimmte Richtung zielende Lehre oder gar Handlungsanweisung anmuten könnte. So verstehe ich ihn nicht, wenn er vom Stechlin als einem 'politischen' Roman spricht, und so verstehe ich - in Parenthese gesagt - auch den Auftrag unserer Gesellschaft nicht. Folgerungen ziehen aus dem Geist eines literarischen Werkes kann immer nur der einzelne für sich. Statt „Gleichgewicht der Erörterung" könnte ich jedoch im Hinblick darauf, was das Werk dieses Dichters für uns bereithält, auch sagen: Lebendigste Wahrnehmung des Lebens in seinen tausendfältigen Tendenzen und Formen, Vergegenwärtigung des Gewesenen - Literatur ist Gedächtnis, und Gedächtnis ist Liebe - sowie Verpflichtung auch der Gegenwart auf die großen Zusammenhänge, in denen wir alle, ob wir es wollen oder nicht, stehen. Gerade unter solchem Aspekt und in dieser Meinung sind wir mit unserem kleinen Symposion bewußt nach Potsdam gega n - gen. Die Erinnerung an Storms 175. Geburtstag und an seine Beziehungen zu Fontane auch in dieser Stadt boten uns dafür einen willkommenen Anlaß. Wir wollten aber darüber hinaus unseren Platz suchen mitten in der schwierig en Gegenwart dieser Stadt und dieser mit Fontane so tief verbundenen Regio n, die ein neues Kapitel ihrer Geschichte begonnen hat.
Pathos war dieses Dichters Sache nicht. Erlauben Sie mir daher anstatt mit Fei- erlichkeit1 1 2 lieber mit einer halb und halb scherzhaften Bemerkung zu schließ en . Der 'große Zusammenhang der Dinge', das gilt auch für die Fontane-Forschung und für die Fontane-Rezeption. Für jeden Fontane-Leser bedeutet der
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