Heft 
(1993) 55
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schaftlichen Schriftsteller und den weitabgewandten, weltfremden Poeten, den akti- vistischen homme de lettres und den komtemplativen Dichter polarisiert. (...) Schrift­steller oder Dichter: in diesem typologisch radikal vereinfachten Begriffspaar drückt sich ein Gegensatz aus, der nach 1917 immer deutlicher hervortrat und der nach 1933 konstitutiv wurde für existenzielle Entscheidungen." (Goldammer, a.a.O., S. 391f.). In der Tat läßt sich die gesellschaftspolitische Bedeutung dieser Typologie für die deut­sche Literatur des 20. Jahrhunderts kaum überschätzen. Wichtige Hinweise gibt bereits der Aufsatz von Klaus Schröter,Der Dichter, der Schriftsteller. Eine deutsche Genealogie", Akzente 20 (1973), Heft 1-2, S. 168-188. Schröter macht geltend, daß es in den westeuropäischen Sprachen einvergleichbares Verfechten partikularistischer Interessen zwischen Dichter und Schriftsteller" nicht gibt.Der Gegensatz fehlt in England, Frankreich, Italien und Spanien, Ländern, in denen sich seit der Renaissance die literarischen Formen deutlicher und mit bedeutenderen Leistungen zu differen­zieren begannen, als in Deutschland" (a.a.O., S. 170). An dieser

Stelle sei ergänzend auf eine Rezension Joseph Roths über neue Bücher von Egon Erwin Kisch und Alfred Polgar verwiesen. Roth, der wie Fontane Journalist war, ehe er als Romancier zu seinem eigentlichen Ruhm gelangte, schreibt 1925:Wenn deut­sche Journalisten Bücher schreiben, bedürfen sie beinahe einer Entschuldigung. Wie kamen sie dazu? Wollen die Eintagsfliegen in den Rang höherer Insekten aufsteigen? Professoren und Kritiker säumen den Weg, der in die Nachwelt führt. Dichter, die gleichsam schon von Geburt eingebunden waren, wollen manchmal eine genaue Grenze zwischen Journalistik und Literatur ziehen und im Reich der Ewigkeiten den numerus clausus für 'Tagesschriftsteller' einführen. (...) Ein Journalist aber kann, er soll ein Jahrhundertschriftsteller sein. Die echte Aktualität ist keineswegs auf 24 Stun­den beschränkt. Sie ist zeit- und nicht tagesgemäß. Diese Aktualität ist eine Tugend, die nicht einmal einem Dichter schaden könnte, der niemals für die Zeitung schreibt. (Joseph Roth: Werke. Hrsg, und eingeleitet von Hermann Kesten. Köln 1975-1976, Bd. 4, S. 335f.) Noch der deutsch-deutsche Literaturstreit nach der Wiedervereinigung Deutschlands wird wesentlich von der Frage nach Funktion und gesellschaftlicher Rolle des Schriftstellers mitbestimmt.

66 In der älteren Literatur findet man zuweilen den Hinweis, daß Fontane ungeachtet seiner ausgedehnten autobiographischen Arbeiten nur wenig über sich und seine Probleme als Schriftsteller geschrieben habe. Dies trifft jedoch, wenn überhaupt, nur für den ersten Augenschein zu. Vielmehr gelangte Fontane zu Formen der Selbstdar­stellung, auch wenn er scheinbar nur über andere Autoren schrieb. Wruck hat dies an dem Buch über Christian Friedrich Scherenberg gezeigt, einem schon zur Zeit der Niederschrift von Fontanes Biographie vergessenen Poeten, den bezeichnenderweise auch sein Biograph nicht wieder lesen mochte. Das Storm-Kapitel und die Kapitel über andere Autoren haben insofern durchaus zu Recht ihren Platz in s Von Zwanzig bi Dreißig gefunden. (Peter Wruck: Theodor Fontane in der Rolle des vaterländischen Schriftstellers. Bemerkungen zum schriftstellerischen Sozialverhalten. In: Theodor Fontane im literarischen Leben seiner Zeit, a.a.O., S. 1-39).

66aDer erst 1992 vom Theodor-Fontane-Archiv erworbene, vollständig bisher unge­druckte Brief Fontanes an Ada Eckermann wurde auszugsweise veröffentlicht im Katalog 43, Bassenge, Berlin 3.-5. 5. 1984. Inhaltlich schließt der Brief erkennbar an die Erörterung an, die im Anschluß an den Vorabdruck von Fontanes Storm-Aufsatz entstanden war. Mit dem in Fontanes Brief erwähntenHerrn Toeche" ist mutmaßlich Theodor Toeche (1837-1919), der Besitzer des Berliner Verlags E.S. Mittler & Sohn gemeint, der auch dasMilitärwochenblatt" verlegte; er wird in Fontanes Biefen wiederholt erwähnt. Um welche Arbeit über Fontane und Storm es sich handelt, die Toeche vorlag, ist unbekannt.- Der Brief lautet wörtlich:

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