später noch, und es wird sich zeigen, daß er es in dieser strengen Diktion des Turner-Essays keineswegs teilt. Schrittweise entwickelt Fontane im weiteren die Besonderheiten der Malweise Turners, um dann mit wenigen abschließenden Worten anzudeuten, daß es nicht die verschwimmenden Gegenstände auf dem Bild als solche sind, die das 'Erleben' des Bildes erschweren. Sucht Fontane die Ursache dafür aber nicht bei den Bildern, so bleiben nur die Betrachter selbst übrig, denen es offensichtlich Probleme bereitet, sich in die durch Turners Phantasie verfremdete Wirklichkeit hineinzuversetzen. Auf den längst auf das Wiedererkennen des Wirklichen eingeschworenen Kunstgenießer der Jahrhundertmitte wirkt der mit britischem Lokalkolorit gemalte Markusplatz 'sentimental'. Mit diesem Stichwort des Rührseligen spielt Fontane nun seine eigene Kritik am Kunstbetrieb der eben beginnenden zweiten Jahrhunderthälfte gegen die nationalen Vorbehalte des preußischen Publikums den bahnbrechenden Werken Turners gegenüber aus. Will nämlich der „Sinn" des Laien die „Andeutungen" in Turners Bildern nicht verstehen, so verschließt er sich aus Fontane Sicht den intellektuellen Botschaften der bildenden Kunst. Gleichwohl hält Fontane selbst an der Auffassung fest, „das Auge" sei die „Straße", auf der die Kunst „zum Herzen vordringt", doch endet an diesem Punkt noch nicht der umfassende Anspruch, den ein Kunstwerk an den Betrachter stellt. Der Appell an das Gefühl gehört nur zu den Voraussetzungen der Augenkunst, ihm folgt der gedankliche Nachvollzug des Gesehenen. Mit anspielungsreichen Offerten an Maler und Leser diskutiert Fontane am Beispiel der ungegenständlichen Bilder Turners, warum sie aus der Sicht des zeitgenössischen Betrachters die Gefahr in sich bergen, den auf Ideale getrimmten Verstand in solche Verwirrung zu bringen, daß er sich nicht mehr der Mühe einer intensiven Beschäftigung unterzieht: was daher nur „phantastisch uns umstricken soll", verstößt für die längst bequem gewordene Vernunftherrschaft bürgerlicher Provenienz „gegen die Grundgesetze bildender Kunst. " 20 Nimmt Fontane also den Blickwinkel seiner Leser ein, so eröffnet er sich gleichzeitig die Möglichkeit, jene inzwischen zum Dogma erstarrte und 'verwässerte' Kunstlehre der Goethezeit scheinbar geflissentlich aufzugreifen, die in der Jahrhundertmitte nicht mehr zwischen 'Erleben' und 'Erbauung' unterscheiden hilft.
Ein Teil der Feuilletonleser dürfte daher dem Rekurs auf Goethes Ablehnung des Irrationalen weitestgehend zugestimmt und sich damit den Blick auf die ironische Brechung der Kunstgesetze versperrt haben, die Fontane nun vorschlägt. Denn seine Behauptung, die Kunst solle sich nicht bis zu „ Verschwommenheiten, Andeutungen und rätselhaften Klängen " 21 versteigen, bezieht sich auf eine ganz konkrete Sehweise des Wirklichen, überläßt es aber dem Maler, für welche Sujets und formalen Darstel- lungsweisen er sich entscheidet. Ein harmonischer Effekt in der Kunst, so hat es Goethe ausgedrückt, mag den „innren Sinn aufrufen", verbindet sich diese Augenfreude aber nicht mit dem „Verstände" 22 , dann gleicht das Bild einer phantastischen Verfälschung oder einer 'naturalistischen' Verflachung des Gesehenen, anstatt die Natur „durch den Gedanken" zu „erhöhen ". 23 In seinem Aufsatz Antik und Modern hat Goethe später hinzugefügt, ein Fehlen dieser poetischen Elemente im Bild könne den Betrachter auch nicht „in die Stimmung versetzen, „in welcher sich der Verfasser befand ". 24 Auf diesen indivi-
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