Heft 
(1993) 55
Seite
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nach Kugler zunächst einmalliebenswürdig" undgemüthvoll" 29 , um den Betrachter mit ihrer heiteren Anmut einzunehmen. Mit diesem für ihn zentra­len Anliegen der Malerei rückt Kugler die stimmungsgeladeneIndividualität" des Gemäldes so weit in den Vordergrund, daß fraglich bleiben muß, inwieweit es dem Betrachter noch vorbehalten bleiben kann, aus jedem Bild dasseelen- hafte gedankenvolle Wesen" 30 des Malers herauslesen zu können. Verständli­cher werden diese Wendungen, interpretiert man sie als ein vorsichtig formu­liertes Zeugnis aus den Zeiten obrigkeitlicher Zensurpolitik, das den einzelnen dazu ermuntern möchte, dasWesentliche der Kunst" mit demsubjectiven Gefühle aufzufassen", um dieInteressen" undBestrebungen der Gegenwart vergessen" zu können. 31

Dennoch läßt diese Bildästhetik, die den eigenen Stimmungen angesichts des Bildes breitesten Raum zubilligt, die romantische Vorstellung von individueller Gestaltungskraft ebenso hinter sich wie Goethes These, Bilder müßten zunächst einmal intensiv erlebt und anschließend erarbeitet werden. Im Grun­de treibt Kugler die Scheidung der Künste voran, die seit Lessing propagiert wurde, ohne jedoch die spezifisch eigenen Mittel der Malerei hinreichend zu würdigen. Auch Fontane hat sich mehrfach mit dieser Entfernung Kuglers vom eigentlichen Gegenstand und der daran geknüpften Poetisierung der Malerei auseinandergesetzt und darauf aufmerksam gemacht, Bilder könnten nur erlebt werden, indem der Betrachter die intellektuelle Spannung aufnimmt, die der Künstler zwischen seiner subjektiven Wiedergabe der Natur und dem allgemeinen Blick der Zeit auf eine nur krude Umwelt im Bild angelegt habe. Dabei spricht Fontane jedem Kunstgenießer durchaus denMuth" zu,eine selb­ständig gehabte Empfindung auszusprechen ", 32 Doch schon die Betonung, die Fon­tane auf die Eigenständigkeit des Kunsturteils legt, muß darauf aufmerksam machen, daß er den durch das Bild evozierten Gefühlen gegenüber mißtrauisch bleibt. Noch in der vermutlich erst 1883 entstandenen kleinen Schrift, die der Frage nachgeht, ob derLaie, der Kunstschriftsteller eine Berechtigung zur Kritik über Werke der bildenden Kunst besitzte, setzt er sich mit den Konsequenzen auseinander, die diese emotionalen Formen der Bildaneignung nach sich zie­hen können. Voller Ironie beschreibt Fontane die Reaktionen der Bewunderer, die von derWucht der Sprache", vonGesinnung" und vomGeheimnisvollen in der Kunst sprechen; und nicht minder humorvoll skizziert er das Wesen all der Kritiker, die sich gegen jene'großen orakelhaften Worte'" auflehnen, die der vorgeblich ideenarme Künstler nicht selten in seineDunkelschöpfung" hinein' interpretiert sehen möchte. Bekanntlich charakterisiert Fontane sein eigenes Schaffen alsDunkelschöpfung im Lichte zurechtgerückt", und er findet mit Hilfe dieser Metapher ein ästhetisches Programm, das den Anspruch des Künstlers Fontane auf Vieldeutigkeit im Werk mit dem der Erkenntnismöglichkeiten für den Leser vereinbart. Als Autor und Kritiker bleibt Fontane ganz bewußt indifferent, indem er sich für einen Mittelweg entscheidet, der sich Urteile nur dann erlaubt, wenn diese offen bleiben für die vom einzelnen nie- mals vollständig zu erschließende Gedankenwelt des Kunstwerks:

Ich persönlich stehe durchaus auf seiten der Bewunderer, aber doch nicht so, daß ic h nicht die vollkommene Berechtigung der Gegenpartei zugeben oder mich in ihr

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