erklären sich selbst und verlangen auch nicht nach einer umständlichen sprachlichen Wiedergabe des Gesehenen: „Eine Erklärung im Katalog, wenn sie strikte erforderlich ist, ist nichts besseres als der Zettel, der früher aus dem Munde der Heiligen hing."6 4 Ein Bild, das mit Hilfe seiner gefächerten Erfahrungsangebote auf einen Gedanken anspielt, hinterläßt beim ersten Ansehen Fragen. Solche Fragen 'rahmen' daher auch nahezu alle Bildbeschreibungen Fontanes, denen sich entnehmen läßt, daß er sich als Betrachter frappiert und angesprochen fühlt. Zwischen diese Fragen schiebt sich die schon angedeutete Bilderzählung, so daß eine bewußt zurückhaltende Beschreibung entsteht, die das Bild nicht zu ersetzen oder zu beleben versucht.
Mit seiner Kritik an einer textorientierten Form der Bildbetrachtung leitet Fontane zur eigentlichen Auseinandersetzung mit den Präraffaeliten über, an deren scheinbar bewegungslosen Bildern er seine keineswegs starre Vorstellung des 'Poetischen' diskutiert. Auch die Präraffaeliten geben ihren Werken den Anstrich „jener Unbestimmtheit, die immer da waltet, wo ein reiches inneres Leben sich in seiner Ganzheit vor uns erschließt und, statt einseitiger Befriedigung, eine vielfache und fruchtbare Anregung gibt . " 65 Nun malen die englischen Präraffaeliten nicht mehr verschwommen wie Reynolds in seinen Landschaften, auch steigern sie die Ausdrucksmöglichkeiten einer einzigen Farbe nicht wie Gains- borough in seinem Blue Boy. Ihre Manier kämpft, wie Fontane betont, gegen „Unwahrheit und Ungenauigkeit ": „Wir wollen euch zeigen, daß man die Dinge geben kann, wie sie sind, ohne an Wirkung auf das Gemüt hinter euren Idealschöpfungen zurückzubleiben." Statt modernstem „Getupfe", das den Gegenstand gewissermaßen nur 'erahnen' läßt, sieht man beispielsweise „Pilze, an denen man die Lamellen zählen kann". Es wird angesichts Fontanes Favorisie- run g des freien, lebensvollen Farbauftrags nicht verwundern, daß er in der ersten Begegnung mit „Schrecken" auf die strenge Linienführung oder das übergenaue Wiedergeben von Stimmungshaftem reagiert. Nachdem er sich aber vertraut gemacht hat, bietet er für den Leser die Schlußfolgerung an, die Darstellung der Natur verlange keine Beschönigung, denn das Schöne liege hinter dem bloß Sichtbaren und nicht im idealisierten Konstrukt:
Man hat sie durch Vergleiche zu charakterisieren gesucht und an den Kampf erinnert, den die Romantische Schule gegen die Klassiker aufnahm. Bis zu einem gewissen Grade ist diese Parallele gerechtfertigt. Die Präraffaeliten haben den Haß gegen das konventionell Philiströse und das Streben nach Gefühlsvertiefung mit allen, den Realismus aber mit den späteren Romantikern (...) gemein. (...) Die Abneigung gegen die glatte, konventionelle Schönheit führte sie zum Victor Hugoschen Le laid c'est le beau' (...).'*
Im Z ehnten Brief aus Manchester, der ganz der präraffaelitischen Schule gewid- ist, konzentriert sich Fontane neben informativen Aussagen über die Entwicklung und das Programm der neuen Kunstrichtung ausschließlich auf die Besprechung der Herbstblätter von John E. Millais, einem Altersgenossen des Dichters. Darüberhinaus setzt sich Fontane auf diesen wenigen Seiten am nach- drücklichsten mit Ruskins Lehre des 'unschuldigen Blicks' in die Natur und auf die Kunst auseinander. Die Frage, was insbesondere den „Vater der ganzen Bewegung " 67 auszeichne, beantwortet Fontane zunächst im Rekurs auf seine
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