Heft 
(1993) 55
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mit seinen vierhundert Millionen aus dem Schlaf erwacht und, seine Hand erhe­bend, uns und der Welt zuruft:Hier bin ich", allem vorauf aber, ob sich der vierte Stand etabliert und stabiliert (denn darauf läuft doch in ihrem vernünfti­gen Kern die ganze Sache hinaus) - das alles fällt ganz anders ins Gewicht als die FrageQuirinal oder Vatikan". Es hat sich überlebt. Und anstaunenswert ist nur das eine, daß es überhaupt noch so weitergeht. Das ist der Wunder größ­tes. (VIII,150-151)

Hinzu käme als verständnisfördernder Hintergrund von Fontanes Einführung des Exotischen in den preußischen Roman die gleichzeitige gesamteuropäische Faszination von Orient, Japan, China, Ägypten usw., die im Gefolge der Welt­ausstellungen, 1851 in London, seit 1854 mehrfach in Paris, auftritt und in Lite­ratur, bildender Kunst und Architektur nicht nur ihre Spuren hinterlassen, son­dern epochemachend gewirkt hat. 5

Doch das Drinnen, das sich durch solches Draußen definiert, ist nicht nur, wie es nach dem Gesagten scheinen mag, die preußische Welt im historisch-geogra­phischen Sinne; es ist zugleich auch die preußische Welt als gesellschaftliche Wirklichkeit, ja: als Dasein in der (je geschichtlich gewordenen und lokal geprägten) Gesellschaft überhaupt - ein vulgär-rousseauistischer Gegensatz von Draußen und Drinnen geradezu. Mit andern Worten: Die Exotik, die in Fontanes Romanen dem ersten Anschein zum Trotz eine große (noch zu beschreibende) Rolle spielt, ist visiert als die Alternative zur Existenz des Men­schen als Mitglied, ob freiwillig oder nicht, seiner oder gar der Gesellschaft als System konventioneller Bindungen und Zwänge. Auch in diesem Koordinaten­schema ist der Chinese in Effi Briest gesehen worden: als Chiffre dessen, was außerhalb des konventionell gesellschaftlichen, vergesellschafteten Daseinsmo­dus als möglich oder wünschbar gedacht wird. 6 Dieser Hinweis nur als Stich­wort für das, was sich als Fontanes Verfahren heraussteilen wird: die Exotik wird motivisch so eingesetzt und in ihrem Aussagegehalt so artikuliert, daß sie die Gesellschaftsexistenz als weniger selbstverständlich erscheinen läßt, sie in frage, zur Rede stellt und damit dem so Fragenden - und wer wäre das nicht in Fontanes Romanwerk? - die Chance einer Selbstdefinition gibt, sei sie bestäti­gend oder neu dimensioniert infolge des Encounters mit dem Fremden. Das Exotische vondraußen" oderdrüben" wird so Chiffre des anderen, an dem man sich mißt - und das man am eigenen Standard mißt, ohne so oder so unbe­dingt derselbe zu bleiben. Damit ist schon angedeutet: einen absoluten Maß­stab gibt es nicht in Fontanes Romanen. Weder das Fremde noch das Vertraute ist letztlich unrelativierbar, im Gegenteil: daß sie relativierbar sind, mit beunru­higenden oder doch herausfordernden Konsequenzen, darauf läuft schließlich die Thematisierung des Exotischen als Gegenbild im Stechlin hinaus. Und in änderen Romanen ist diese Weisheit köstlich ironisiert, etwa in Quitt, wo Leh- ne rt , dem als einem der ganz wenigen die Auswanderung in die exotische Fern- e tatsächlich gelingt, im Innern Amerikas nicht etwa Indianer antrifft, son de - rn Deutsche, die deutscher als deutsch sind, geographisch deplazierte Loka Patrioten reinsten Wassers und reinsten Dialekts. Oder man erinnere sich an das Gespräch Leos und der alten Köchin in den Poggenpuhls; es geht um Leos Zukunftsaussichten:

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