Heft 
(1993) 55
Seite
94
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Wenn es aber nichts wird, na, dann, Friederike, dann müssen die Schwarzen ran, das heißt die richtigen Schwarzen, die wirklichen, dann muß ich nach Afrika."

Gott, Leochen! Davon hab ich ja gerade dieser Tage gelesen. Du meine Güte, die machen ja alles tot und schneiden uns armen Christenmenschen die Hälse ab."

Das tun sie hier auch; überall dasselbe."

Und soviel wilde Tiere, Schlangen und Krokodile, daß man bei all der Hitze nich mal baden kann."

ja, das ist richtig. Aber dafür hat man auch alles frei, und wenn man einen Elefanten schießt, da hat man gleich Elfenbein, soviel man will, und kann sich ein Billard machen lassen. Und glaube mir, so was Freies, das hat schließlich auch sein Gutes. Hast du mal von Schuldhaft gehört? Natürlich hast du. Nu sieh, so was wie Schuldhaft gibt es da gar nicht, weil es keine Schulden und keine Wechsel gibt und keine Zinsen und keinen Wucher, und wenn ich in Bukoba bin - das ist so'n Ort zweiter Klasse, also so wie Potsdam - (VII,341)

Doch ist gleich, um einen Einwand vorwegzunehmen, zu erinnern: die Exotik als das Außerhalb der Gesellschaft und des Vertrauten hat zwei verschiedene Ausprägungen bei Fontane (und es sei erlaubt, die gleiche Vokabel,exotisch", für beide zu verwenden, ohne in Verdacht zu geraten, Tante Adelheids Per­spektive zu verabsolutieren). Exotisch, fremd, draußen vom Blickpunkt Berlin oder Hohen-Cremmen ist einerseits das (sagen wir, im Anschluß an ein Stich­wort Koselegers [VIII,347] Äquatorialafrikanische: das Urtümlich-Primitive, Wilde", Vor- und Außergesellschaftliche, die rousseauistische Anfangsutopie Adam und Eva" (wie es in Stine ausgedrückt wird, wo Rousseaus Name auch tatsächlich in diesem Zusammenhang fällt [V,239-240] oder europäisiert: das Robinson-Idyll des Weißen mit Palmwedel und Llama am Südseestrand wie in einer Vorfassung des 27. Kapitels von Effi Briest. 7 Exotisch, fremd, draußen vom kaiserlichen Preußen aus ist aber andererseits auch die derNatur" entgegen­gesetzte Urbanität, das Übergesellschaftliche, nämlich die Höchstzivilisation und Höchstgesittung, von der im Stechlin die Rede ist als dem Segen Englands: nicht vor der Gesellschaft, sondern hinaus über die Gesellschaft, wo eine neue, höhere Freiheit des Selbst erreicht ist, in der man über alles Gesellschaftliche als Zwang und beschränkende Lebensbedingung souverän hinaus gekommen ist (VIII,271-274). Diese konventionelle, bindende, einengendeSitte" als unwegdenkbare Lebensnorm der Fontaneschen Welt ist es, die Rubehn in LAdultemdraußenhalb vergessen" hat, und zwar, wie es hier ausdrücklich heißt, in Paris und London und New York, wo er sich jahrelang aufgehalten hat, bevor er nach Berlin zurückkehrt (111,123), nicht etwa, was vielleicht eher denkbar wäre, in Äquatorialafrika - der anderen Seite des Exotischen. Und doch geschieht das Exotisch-Unkonventionelle, dessen der zurückgekehrte Rubehn sich schuldig macht, nämlich die Verführung der verheirateten Mela- nie, nicht in der Ambiance des Fremden als höchstzivilisierter Mondänität, sondern unter Palmen, die das geläufige Symbol jener anderen Seite des Exoti­schen sind - ein unmißverständlicher Hinweis, daß die beiden Seiten des Exoti­schen letztlich doch eben die beiden Seiten desselben sind. So wachsen