auch, kennzeichnend für die Identität der beiden Seiten des Exotischen, Palmen im Gewächshaus im Garten des Berliner Großbürgertums, in einem „Tropenwald" unter „mächtigem Glasbau" (111,189), vielleicht erinnernd an das im Zuge des europäischen Exotismus von Kronprinz Friedrich Wilhelm IV. erbaute indische Palmenhaus auf der Pfaueninsel.
Aber ob nun Exotik als das „Wilde" oder als das „Souveräne" - so oder so ist Freiheit das Stichwort der allem Gesellschaftlich-Konventionellen entgegengesetzten Existenzform, auf die das Exotische chiffrenartig verweist (z.B. VIII,317). Über einen Auswanderer nach dem Wilden Westen schreibt Fontane am 28. Dezember 1888 an einen Unbekannten:
Und siedelt er sich dann in Indian Territory - das ich zufällig fast so gut kenne wie die Mark Brandenburg - an, so kann er auf seiner Einsamkeitsfarm unter Cherokees und Arrapahöes (so ähnlich heißen die dortigen Indianer) ein wundervolles freies Männerleben führen mit und ohne Dünkel, wahrscheinlich ohne, denn er wird sich bis dahin verflogen haben. Aber dieser Verfliegungs- prozeß kann sich nur allmählich und nur „drüben " vollziehen. Hier ist er auf absehbare Zeit ein verlorener Mann, weil er sich in die prosaische Ordnung der Dinge nicht einrangieren läßt. (111,670)
„Dem Nationalen haftet immer etwas Enges an” (an Martha Fontane, 9. August 1891, IV,142). „Das menschliche Leben draußen [...] ist freier, natürlicher, unbefangener und deshalb wirkt die nicht-berlinische Welt reizvoller" (an Georg Friedlaender, 14. Mai 1894, IV,354). Hier und draußen, Zwang und Freiheit, Gesellschaft und außergesellschaftliche Welt - Fontane gelingt es, stets eine doppelte Optik zu praktizieren: als Romancier ist er der Provinzler mit jenen „Weltbeziehungen", die der Stechlin-See hat, und als Bürger und Zeitungsleser ebenso: zur Sommerfrische in das Nest Waren in Mecklenburg verschlagen, gefällt es ihm, „das 'Warener Tageblatt' zu lesen und die Weltereignisse durch die mecklenburgische Brille zu sehen. Ein großes Interesse nehme ich an den Vorgängen am Nil, wo der Mahdiwirtschaft ein Ende gemacht werden muß. Im allgemeinen bin ich zwar ganz für 'wilde Völkerschaften' und gegen alle sogenannte Kulturbringerei. Der Mahdi aber läßt viel zu wünschen übrig und kann ohne Schaden von der Bildfläche verschwinden" (an James Morris, 27. August 1896, IV,588). Man bemerke übrigens schon hier Fontanes Hang zum Relativieren! Vielleicht ist ihm auch durch den Kopf gegangen, was er am 14. Mai 1894 an Friedlaender über die berlinische und die nicht-berlinische Welt „draußen" schrieb, gleich im Anschluß an die bereits herangezogene Stelle: „Die Menschen draußen sind nicht klüger, nicht besser, auch wohl nicht einmal begabter und talentvoller, sie sind blos me nschlicher und weil sie menschlicher sind, wirkt alles besser, ist auch bes- ser - Das lyrische Gedicht eines Menschen, der menschlich empfindet, wird immer bes- ser se in als das eines 'Gebildeten'. Bildung ist etwas Herrliches: aber was bei uns als Bildung gilt , ist etwas ungemein Niedriges und sogar Dämliches (IV,354). IBe- n diesen Worten ist ein Fundamentalthema Fontanes: die Frage nach der wd ahrung des Menschlichen im gesellschaftlichen Daseinsmodus angerührt un zugleich die Bedeutung, die das Exotische für dieses Thema besitzt. 8 Als Chif- fre oder auchs „Finesse " 9 weist das Exotische auf ein nicht offen zutage liegende Bauprinzip der Romanwelt Fontanes und damit zugleich auf ihre Sinnstruktur.
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