eigentümlich humane Gesinnung der Menschen, die sie erfahren. (S.194- 198)
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Aus solcher Perspektive leuchtet ein: das Exotische - Effi Briest aus Hohen- Cremmen sucht es kennzeichnender Weise auf ihrem Shopping-Trip nach Berlin - verweist auf die utopische Alternative, außerhalb der Gesellschaft zu existieren: es ist „märchenhaft"' 2 und doch notwendiger Orientierungspunkt der Selbstdefinition und authentischen Selbstverwirklichung. In solcher Funktion ist das Exotische, wie gesagt, in Fontanes Romanwelt fast ständig präsent - anders als bei Goethe zum Beispiel, den Fontane in L’Adultera zum Thema zitieren läßt: „Man wandelt nicht ungestraft unter Palmen" (III,190). In Ottilies Tagebuch in den Wahlverwandtschaften ist „Es wandelt niemand ungestraft unter Palmen" Stichwort dafür, daß „die Gesinnungen sich [...] ändern in einem Lande, wo Elefanten und Tiger zu Hause sind", und zwar sich negativ ändern, zur Minderung und Verformung des klassischen Menschenbildes — woraufhin Goethe denn in den Wahlverwandtschaften und sonstwo das Thema Exotismus in diesem Sinne fallen läßt, aus Desinteresse und Aversion zugleich. 13 Anders Fontane. Er thematisiert, zentral und am Rand, wiederholt das Verhältnis von exotischer oder doch fremder Ferne und vertrauter Nähe oder gar Enge, und er spielt dabei allerlei Variationen durch, die sich aus solcher bewußter Funktionalisierung des Exotischen ermöglichen. Diese Variationen, die ihrerseits, besonders im Stechlin, wieder ironisch umspielt werden durch wechselseitige Relativierung, erlauben neue und vielleicht lohnende Einsichten in die inneren Spannungen im Gefüge der Welt, die Fontanes distanzierende (d.h. durch den Seitenblick auf das Exotische distanzierende) Optik zur Anschauung bringt.
Welche Variationen? Die nächstliegende ist: das Draußen als Zielpunkt einer Flucht aus den als Zwang empfundenen gesellschaftlichen Verhältnissen bzw. aus dem gesellschaftlichen Daseinsmodus überhaupt. Es ist eine Flucht, die kaum je gelingt, in jedem Falle aber vor die Frage stellt: wer bin ich, was soll ich tun? Den Flüchtlingen gegenüber stehen die im Konventionellen Ausharrenden, mit einem Auge auf das Draußen fixiert auch sie (selbst im Falle Innstet- fen) und damit zutiefst zwiespältig statt psycho-soziologisch „zu Hause". Drittens, als eigene Kategorie, die Rückkehrer von „draußen"; sie hätten das Zeug zu Idealfiguren unter dem Gesichtspunkt unserer Fragestellung: warum aber profilieren sie sich so betont am Rande? Die offenen Fragen führen schließlich in Fontanes letztem Roman zu einer ausdrücklichen Thematisierung der Spannung von Nah und Fern, die dennoch alles in der Schwebe läßt - wo gehöre ich hin, und wer bin ich? Was Fontane im Mai/Juni 1897 in einem Brief an Adolf Hoffmann über den Stechlin-See sagt, gilt auch für die Gestalten, die er um den See herum ansiedelt und an ihn heranführt, ohne Resolution des „Themas".
Dieser See, klein und unbedeutend, hat die Besonderheit, mit der zweiten Welt draußen in einer halb rätselhaften Verbindung zu stehen und wenn in der Welt draußen „was los ist", wenn auf Island oder auf Java ein Berg Feuer speit und die Erde bebt, so macht der „Stechlin", klein und unbedeutend wie er ist, die
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