glaube mir, es geht auch drüben nicht" (253): Exotik als Fluchtpunkt des Scheiternden, Symptom des Versagens.
Lieblos formuliert dies Frau St. Arnaud in Cecile als Ansicht der Gesellschaft (übrigens historisch nicht ganz falsch, sofern Kolonialdienst sogar in Großbritannien selbst für die höheren Ränge im ausgehenden 19. Jahrhundert nicht eben gesellschaftlich angesehen war, wie man z.B. der frühen Biographie Leonard Woolfs entnehmen kann): „Warum ging er [Gordon] in die weite Welt? Ein Mann von so guter Erscheinung und Familie" (IV,366). Ähnliches signalisiert Fontane, wenn er den alten Grafen Petöfy im gleichnamigen Roman, kurz bevor er sich das Leben nimmt, ausscheidet aus der ihm unerträglich gewordenen Gesellschaft, noch sinnieren läßt: „Und will mir auch die Palmen [...] betrachten, die [...] mir dann von hier aus bei den Augustinern ihren letzten Liebesdienst leisten werden" (IV, 193). Ein geradezu überdeutlicher, schon grotesk pointierter Fall hingegen ist Leo in den Poggenpuhls. Der Roman stellt ein stationäres Bild der preußischen „Gesellschaft" des 19. Jahrhunderts oder doch ihrer ausfransenden Ränder dar. Die Familie Poggenpuhl illustriert, wie weit oder vielmehr wie wenig weit es mit einer einmal glanzvollen Aristokratie gekommen ist in Zeiten ihrer allgemeinen Abwirtschaftung, in denen sich ein Toast auf den Kaiser, ähnlich wie auf der Försterparty in Effi Briest, nur so ausnehmen kann, wie der alte General Poggenpuhl, der Stolz des Geschlechts, ihn plant: ,„Und so möcht ich Sie denn fragen, Sie alle, die Sie hier versammelt sind, sind wir Preußen? Ich bin Ihrer Antwort sicher. Und in diesem Sinne fordre ich Sie auf...' Und dann das Hoch" (VII,396). In solcher Welt bewegt sich nichts. Dem jungen Leo von Poggenpuhl, der im Lande selbst keine Chancen sieht, bleibt nur das schreckerfüllte Spiel mit dem Gedanken an Auswanderung nach Afrika; die Stelle wurde schon zitiert. Er weiß, daß das Exotische im Grunde nur Illusion einer Rettung ist, ein Nichts:
Und dabei setzte er den ausgehöhlten Edamer aufseinen linken Zeigefinger und
drehte ihn erst langsam und dann immer rascher herum, wie einen kleinen
Halbglobus.
„Sieh, das hier oben, das ist Nordhälfte. Und hier unten, wo gar nichts ist, da
liegt Afrika." (343)
Kein Wunder, daß die Schwestern ihm raten, im Lande zu bleiben und sich redlich zu nähren (367); sie fürchten insgeheim längst, daß sein nächster Brief aus Kamerun oder Namaqualand kommt (394); und er selbst ebenso: „Ach, Manon! ... ‘über Madagaskar fern im Osten seh ich Frühlicht glänzen' - ja, dahin muß ich, damit endet's, damit muß ich enden!" (388).
Während der Zug ins Schwerenöterhafte hier die Thematik ins Groteske verzerrt, kaum zu ihrem Vorteil, erreicht Fontane in Schach von Wuthenow einen hohen Grad künstlerischer Subtilität in der Gestaltung der tragischen Flucht ins Fremde. Wieder ist die utopische Ferne zugleich der Ort des Todes, doch realisiert mit einem Vokabular der Exotik, das weit entfernt ist von den Cowboy- und Mississippi-Dampfer-Klischees, die in Stine und Irrungen, Wirrungen herhalten mußten. Von vornherein wird der Offizier Schach von Wuthenow in diesem Berliner Gesellschaftsroman mit dem Äußer-Gesellschaftlichen assoziiert durch exotische Chiffren: zunächst wenn sein etwas aus dem Rahmen fei
100