Gegen-Fälle, die komischen und die unkomischen. Merkwürdigerweise sind jedoch die Gestalten, denen die große weite Welt Bereicherung vermittelt, an den Fingern einer Hand zu zählen, und sie profilieren sich am Rande. An Bülow in Schach von Wuthenow wäre zu denken, der, „nach einem abenteuernden Leben in England und den Unionsstaaten in die Heimat zurückgekehrt" (III,375), den preußischen Gesellschaftsfetischismus, die Scheinhaftigkeit der Werte dieser Welt anprangert und insofern einen passenden Kommentar zu der Tragödie Schachs und Victoires liefert. Nur die Sicht von außen scheint ihn dazu zu befähigen. Auf kuriose Weise ähnlich verhält es sich mit Gideon Franke in Irrungen Wirrungen. Konventikler, Maschinenarbeiter, Heilpraktiker und Wanderprediger, ist er ein „Spießbürger" und doch ein „Mann von Freimut und untadeliger Gesinnung", wie Botho erkennt (V,135-136). Er selbst bringt seine souveräne Einstellung zu Lenes Vorgeschichte mit Botho mit seinem Aufenthalt in Amerika in Verbindung; der habe ihn die Dinge sehen gelehrt, wie man sie in Preußen eben nicht sähe: „Ich war lange drüben in den States, und wenn auch drüben, geradeso wie hier, nicht alles Gold ist, was glänzt, das ist doch wahr, man lernt drüben anders sehen und nicht immer durchs selbe Glas. Und lernt auch, daß es viele Heilswege gibt und viele Glückswege" (139).
Die vollendet souveräne Gestalt, deren Überlegenheit über die gesellschaftlichen Bedingtheiten und die gesellschaftliche Mentalität der Auslandserfahrung zugeschrieben wird, ist natürlich der alte Graf Barby im Stechlin. Dreißig Jahre war er „draußen" als Diplomat am Court of St. James, „und an der Themse wächst man sich anders aus als am Stechlin" (VIII,123), nämlich „liberaler". Die gesamte Hausatmosphäre, das „Liberale", das „Freie", um das Stichwort des Fontane- schen Exotischen als Gegenbild des Gesellschaftlichen noch einmal zu bemühen - das ist in Botschaftsrat a.D. Graf Barby zu jenem „schön Menschlichen" der Prachtexemplare des Adels gediehen, das der Romancier Fontane so überaus schätzt. 17 Solche Menschlichkeit des Hinausseins über alles „Gesellschaftliche" plausibel zu machen als Resultat des Einflusses von „draußen", das ist Fontane in Barby in einzigartiger Weise gelungen - oder doch in beinah einzigartiger Weise. Denn der Witz ist ja, daß Barby in dem von allem Fremden unberührten Baron Dubslav von Stechlin aus der Ruppiner Gegend um Rheinsberg herum sein ebenbürtiges Vis-à-Vis findet. Mit diesem Kunstgriff signalisiert Fontane ein neues Reflexionsniveau in seiner lebenslangen Beschäftigung mit dem Exotischen als dem „anderen" des Märkischen. Wie schon angedeutet, dreht sich Der Stechlin nicht mehr um die bisherigen Möglichkeiten der Konfrontation und Verbindung von Nah und Fern, Winkel und Welt, sondern um die Relativierung und Ironisierung dieses Gegensatzes, und zwar in einer Weise, die man systematisch nennen möchte, wäre hier nicht zugleich die Fon- tanesche Leichthinnigkeit und Anmut des Formulierens zu ihrer höchsten Perfektion entwickelt. Gewiß gibt es schon früher Ansätze zu solcher ironisierenden Relativierung, in Effi Briest etwa, wo sich der nach einem afrikanischen Räuberhauptmann benannte Mirambo als biederer Kessinscher Kohlenprovisor herausstellt (VII,85-86). Doch erst im Stechlin wird ein übergreifendes Romanthema, ja das Thema aus solchem ironischen Relativieren.