des Material, das zu großen Teilen unausgewertet ist und in dem man oft nur durch Zufall auf wichtige Informationen natürlich nicht nur über Fontane, sondern über das literarische Leben des 19. Jahrhunderts insgesamt stößt. Peter Goldammer hat jüngst von der „noch ungeschriebene(n) deutsche(n) Kulturgeschichte des neunzehnten Jahrhunderts" gesprochen, „die nicht auf gedruckten Quellen, sondern auf nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Äußerungen basiert": 2 Vielleicht sollte die intellektuelle Energie, die für die hundertunderste Interpretation eines schon hundertmal interpretierten Werkes aufgeboten wird, besser in eine intensivierte und vor allem systematische Beschäftigung mit den reichen Quellenbeständen der Literaturarchive und Bibliotheken investiert werden. Für das 19. Jahrhundert böten allein die Nachlässe von Julius Rodenberg und Paul Heyse Beschäftigung für Generationen von Germanisten. 3 „Er war ein brillanter Journalist, der sich das Dichten angewöhnt hatte": In diesem Satz, den Fontane einen Tag nach Gutzkows Tod 4 niedergeschrieben hat, bringt er seine Einschätzung des ungemein produktiven Schriftstellers in konzentrierter Form zum Ausdruck. Nicht immer hat er seine eigentümlich ambivalente Meinung über Gutzkow auf so prägnante Weise zu formulieren gewußt. In seinen öffentlichen Äußerungen über Gutzkow - in den Theaterkritiken über „Der Gefangene von Metz", „Ein weißes Blatt", „Das Urbild des Tartüffe" und „Uriel Acosta" - findet er zwar deutliche Worte, manchmal positive, öfter deutlich ablehnende; besonders in dem postum veröffentlichten autobiographischen Text Kritische Jahre - Kritiker-Jahre wird jedoch die Mühe deutlich, die Fontane auf eine ausgewogene Beschreibung von Gutzkows literaturhistorischer Stellung verwandt hat, wobei er in seinem Versuch, Leben und Werk Gutzkows gerecht zu beurteilen, stets den Journalisten gegen den Dichter ausspielt. Der Gutzkow-Abschnitt in Kritische Jahre - Kritiker-Jahre endet mit den Sätzen: „Er war wirklich eine bedeutende, aber zu gleicher Zeit eine ganz unerquickliche Erscheinung. Er hatte wohl ein Dichtertalent, aber kein Dichterherz. Sein Leben war nicht glücklich, konnte es nicht sein. " 5
Fontane wußte, wovon er sprach, wenn er Gutzkows Leben ein unglückliches nannte. In Kritische Jahre - Kritiker-Jahre erzählt er, daß ihn noch während der Vorstellung des „Gefangenen von Metz" am 10. Januar 1870 der Schriftsteller Max Ring ansprach und sagte: „Lieber Fontane, wenn Sie morgen darüber schreiben, vergessen Sie nicht, daß Gutzkow ein kranker Mann ist, oder wenigstens war, sehr krank." 6 Ob Fontane über die Krankheit Gutzkows genauer informiert war, ist nicht sicher; er hat jedenfalls klargestellt, daß der Gesundheitszustand des Schriftstellers keinen Einfluß auf das Objektivitätsstreben seines Kritikers haben dürfe: „Sollen immer erst ärztliche Zeugnisse eingefordert werden, so ist es mit aller Kritik vorbei. " 7 Für die Einordnung der beiden Äußerungen Gutzkows über Fontane ist es jedoch wichtig, zu wissen, daß Gutzkow 1864/65 wegen eines Selbstmordversuchs und seines Verfolgungswahns in einer Nervenheilanstalt lebte und danach psychisch nie mehr ganz gesund war.
Die erste der beiden hier mitgeteilten Briefstellen bezieht sich auf Fontanes Rezension der Berliner Erstaufführung von Rudolf Gottschalls Trauerspiel „Herzog Bernhard von Weimar" am 14. März 1873. Es ist ein spöttischer Verriß, in dem es unter anderem heißt: „Das ganze Stück ist eine dramatisierte Turnerund Sängerfahrt mit aufgelegtem Fäßchen und Redeprogramm." 8 Solche und ähnli-