Fontanes Kritiker- und Leserbeeinflussung
Ein bisher recht unbeachteter Aspekt des Fontaneschen Briefwerkes ist die Tatsache, daß Fontane regelrecht eine briefliche Kritiker- und Leser-Beeinflussung betrieb. Diese Briefe sind bedeutsam für Erkenntnisse über das Selbstverständnis Fontanes, denn eine „Analyse brieflicher Sprache bedeutet so stets Analyse des Autors, und zwar nicht nur seiner intellektuellen, sondern auch seiner psychischen Struktur, entsprechend der Auffassung von Sprache als einer Manifestation reflektiver, aber eben auch unterbewußter Vorgänge im Sprechenden." 2 Zu den Grundfunktionen des Briefes gehört die Funktion des Appellierens. Sie findet sich bei Fontane besonders in den Briefen an seine Leser und Kritiker. In dieser Aufforderung von seiten Fontanes verbinden sich Unbewußtes, Wunschdenken und bewußtes Verhalten bzw. Schreiben.
Ein rhetorisches Stilmittel in Fontanes Briefen an seine Rezensenten ist z.B. die Versicherung, daß er der gleichen Meinung wie sie sei, also ihre Ansichten teile. In der Regel nimmt aber der Inhalt der folgenden Sätze diese Zustimmung zurück. Hervorzuheben ist, daß diese Rücknahme der Zustimmung nicht in der üblichen Form der Negationen vorgenommen wird, sondern einzig durch den Inhalt der Sätze, durch Fontanes Stellungnahme zum Werk vollzogen wird. Durch die Darstellung seiner Sichtweise hebt Fontane die des Gegenübers, der er eingangs zugestimmt hat, wieder auf. Indem Fontane aber zu Beginn des Briefes auf das Gegenüber eingeht, versichert er sich dessen Wohlwollens. Auf Basis dieses Wohlwollens kann er dann seine Ansichten verteidigen.
Nicht nur seine Rezensenten will er auf einen bestimmten Weg führen, eine bestimmte Sichtweise für seine Werke erzeugen, auch in seinen Privatbriefen betreibt Fontane Leserbeeinflussung. Wir nehmen nun einen Brief vom 10.02.1888 an Georg Friedlaender zur Analyse und Interpretation heraus:
Hochgeehrter Herr.
Schon wieder im Feld! Und diesmal mit den viel angefochtenen 'Irrungen, Wirrungen'. Daß sie (die Irrungen) sich siegreich durcharbeiten, ist mir bei der entsetzlichen Mediokrität deutscher Kritik und deutschen Durchschnittsgeschmacks nicht wahrscheinlich. Ist auch nicht nöthig. Man muß es nehmen, wie's fällt. Und vielleicht hat man ja auch Unrecht. Aber ich glaub es nicht. Unter ergebensten Empfehlungen an Frau Gemahlin und Gruß und Kuß für die Kinder (Litti weist ihn hoffentlich nicht zurück) wie immer Ihr herzlich ergebenster Th. Fontane. 3
In diesem Brief nimmt Fontane Stellung zur Veröffentlichung seines Romans Irrungen, Wirrungen. Er ist sehr skeptisch, ob das Werk „sich siegreich durcharbeiten" wird. Viel eher vermutet er, daß dieses Werk das gleiche Schicksal erleiden wird wie seine Vorgänger: Es wird nur wenig verkauft werden. Der Absatz seiner Werke ist aber aus zweierlei Gründen wichtig: Einmal soll das Werk Ruf und Ruhm begründen, und zum anderen muß Fontane Geld für den Unterhalt seiner Familie verdienen.
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