außer acht lassen, daß diese Selbstbezichtigungen eventuell dazu dienen können, in rhetorisch geschickter Weise von dem Gegenüber Zustimmung und Verständnis zu erlangen. Peter von Matt bezeichnet Selbstverminderungen als Verzerrungen der Selbstaussage des Dichters, „die den Leser durchsichtig genug zum Kompensieren zwingen sollen". Diese Äußerungen dienten in jedem Fall dazu, „eine narzißtisch aufpolierte Autor-Imago zu schaffen - nicht weil die Dichter sich unbedingt so sehen, sondern weil sie spüren, daß der Leser nur zu lesen liebt, was von einem irgendwie außerordentlichen Verfasser stammt". 4 In einem Brief vom 27.08.1882 an seine Frau z.B. bittet Fontane sie, bei „Frl. von Rohr" nachzufragen, ob diese „mit Sch. v. W. (gemeint ist Schach von Wuthenow - d. Verf.) auch nicht zu unzufrieden ist. "5 In der hier gebrauchten doppelten Verneinung „nicht unzufrieden", die durch das Partikel „zu" verstärkt wurde, offenbart sich die in der Selbstverminderung enthaltende Erwartung, daß die Leserin Zufriedenheit äußert.
Nach Freuds 6 Analyse und Interpretation der Verneinung könnte man den Fon- taneschen Akt der Verneinung und Abwertung als Zeichen werten, daß er seine Ängste, d.h. die Angst, schlechte oder gar keine Resonanz vom Publikum und der Kritik zu erhalten und schlechte Verkaufserfolge zu erzielen, durch diese Form zur Kenntnis nimmt. Ein Verdrängungsprozeß muß stattgefunden haben, sonst hätte Fontane nicht über Jahre des „Nicht-Erfolges" 7 hinweg emsig weiterschreiben können. Nur durch den Akt der Verdrängung konnte er darüber wegsehen, bzw. durch die Verneinung konnte er das Verdrängte in beschränktem Maß zulassen und eventuell relativieren. Fontanes negative Urteilsfindungen und Beurteilungen waren demnach Hinweise für den Briefempfänger, und sie sind heute Informationen für den Brief-Leser. Fontanes wiederholte Aussagen, daß ihm der Erfolg und die Kritik im Prinzip unwichtig seien, stehen nun in einem ganz anderen Licht. Indem er ein harsches und vernichtendes Urteil fällt, weist er deutlich darauf hin, daß es für ihn eben überhaupt nicht unwichtig ist, im Gegenteil, daß es ihm sogar sehr wichtig ist, wie seine Werke aufgenommen werden. Durch den immer wiederkehrenden Akt der Verdrängung ermöglicht er sich ein Weiterarbeiten in der immer wiederkehrenden Hoffnung, daß es einmal anders wird. Man darf bei Fontanes Kritik an seinen Kritikern und bei seinem Verhalten ihnen gegenüber nicht vergessen, daß er selbst 20 Jahre lang (1870-1890) zur Riege der Kritiker gehörte - als Theaterkritiker der Vossischen Zeitung vom bekannten Parkettplatz Nr. 23 des Königlichen Schauspielhauses in Berlin aus.
Ein weiteres rhetorisch prägnantes Beispiel ist auch die - oft zum Abschluß einer Aussage - gestellte Bitte, der Empfänger möge den Briefinhalt nicht falsch verstehen. 8 Diese Bitte des Sprechers oder Schreibers impliziert, daß er sich sicher ist, daß das Gegenüber ihn genau so verstanden hat, wie er es wollte, und daß er nun eine Verärgerung befürchtet. Mit der rhetorischen Bitte um Verständnis und „richtiges Verstehen" verlangt der Sprecher fast unverblümt die Zustimmung seines Gegenübers. Es ist eine geschickte Form, denn niemand gibt schon gerne zu, daß er etwas falsch verstanden hat bzw. unwissend ist. Spielt das Gegenüber das Spiel mit, wozu ihm in der Regel keine andere Möglichkeit bleibt, ist sich der Sprecher seines Gegenübers sicher. Es kann in dieser
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