Heft 
(1994) 57
Seite
80
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nichts ." 13 ) Zwar hat Effi Skrupel, Roswithas Angebot zu akzeptieren, aber diese beziehen sich auf dieganz kleine Wohnung" und die "sehr kleine Wirt­schaft". 14 ) Davon wird ziemlich ausgiebig gesprochen...

Angesichts der hier skizzierten Voraussetzungen sind Effis Chancen, sich "das Herz ihres Kindes zurückzuerobern­ "1 5 ) von vornherein sehr gering. Den noch wäre zu fragen, inwieweit auch Effi selbst zu dem kläglichen Mißlin­gen des Wiedersehens beiträgt. Die im folgenden zitierte Passage gibt eini­ge Hinweise, vor allem dann, wenn man sie wiederum gegen den Strich allzuEffi-lastiger' Lektüren mit Annies Augen 'liest'.

Effi stand am anderen Ende des Zimmers, den Rücken gegen den Spiegel­pfeiler, als das Kind eintrat. "Annie!" Aber Annie blieb an der nur ange­lehnten Tür stehen, halb verlegen, aber halb auch mit Vorbedacht, und so eilte denn Effi auf das Kind zu, hob es in die Höhe und küßte es.

"Annie, mein süßes Kind, wie freue ich mich. Komm, erzähle mir", und dabei nahm sie Annie bei der Hand und ging auf das Sofa zu, um sich da zu setzen. Annie stand aufrecht und griff, während sie die Mutter immer noch scheu ansah, mit der Linken nach dem Zipfel der herabhängenden Tischdecke.

"Weißt du wohl, Annie, daß ich dich einmal gesehen habe?"

"Ja, mir war es auch so."

"Und nun erzähle mir recht viel. Wie groß du geworden bist!

Und das ist die Narbe da; Roswitha hat mir davon erzählt. Du warst immer so wild und ausgelassen beim Spielen. Das hast du von deiner Mama, die war auch so. (...)"16)

Daß der Erzähler Fontane an der Person und den Gefühlen Annies relativ wenig interessiert ist, hindert ihn nicht, ein sehr präzises, stimmiges Por­trät des Kindes zu zeichnen. Annies ängstliche, gehemmte und defensive Haltung wird sensibel geschildert. Bemerkenswert ist, wie sie auf Effis Begrüßung, die fast einer Überrumpelung gleichkommt, reagiert. Sie weiß nicht wohin mit ihren Händen und ist so verunsichert, daß sie sich an den äußersten Rand eines der Mutter gehörenden Gegenstandes, den "Zipfel der Tischdecke", klammert. In diesem Moment durchaus einfühlsam, eröff­net Effi das Gespräch mit der Frage, ob Annie wahrgenommen habe, daß die Mutter sie von weitem gesehen hat. Die Antwort des Kindes "Ja, mir war es auch so" ist ein sehr differenziert formuliertes Zugeständnis. Annie verweigert sich der Mutter also keineswegs von vornherein, und sie plap­pert auch nicht bloß "wie ein Papagei" eingetrichterte Phrasen daher. Doch Effi ergreift die Chance, die ihr hier geboten wird, nicht. Statt nämlich wei­terhin behutsame Fragen zu stellen, sprudelt es ziemlich gedanken- und gefühllos aus ihr heraus:Und nun erzähle mir recht viel. Wie groß du gewor­den bist! Und das ist die Narbe da; Roswitha hat mir davon erzählt."

Vor allem die Erwähnung der Narbe ist nun denkbar ungeschickt und unsensibel. Effi muß ja durch Roswitha erfahren haben, bei welcher Gele­genheit diese Narbe entstand, was Annies "ausgelassen(em) Spielen gefolgt war: nämlich die Suche der beiden Dienstmädchen nach Verbandszeug für