steckten - antisemitischen Unterton 31 ) ab, dann dient die Episode in erster Linie dazu, Effi zu charakterisieren. Bezeichnenderweise sind die von ihr erwünschten Qualitäten des Schwiegersohns in spe rein äußerlicher Natur. Von "Herzensgüte" und dergleichen keine Rede. Auch weiß man nicht so genau, ob der Auserwählte die Tochter oder eher die Mutter beglücken, wem er den Hof machen und wen er - etwa durch großzügige Geschenke - verwöhnen soll. Denkbar ist, daß in Effis Augen sogar der 'Makel' einer jüdischen Abstammung durch Eleganz, Welterfahrung und Reichtum wenn schon nicht getilgt, so doch kompensiert werden kann. Entscheidend ist aber Effis offensichtliche Egozentrik, die mit dem Attribut liebenswert versehen mag, wer will.
Wenn man also ganz nüchtern und ohne sich moralisch zu entrüsten feststellen kann, daß Effi niemals eine innigere Beziehung zu ihrer Tochter entwickelt hat, muß man sich fragen, warum sie durch Annies abweisende Haltung so existentiell getroffen wird. Kein Zweifel: Effis Gefühlsausbruch nach dem mißglückten Wiedersehen ist insofern glaubwürdig, als ihre Monolog-Rhetorik Emotionen nicht vorspiegelt, sondern tatsächliche Gefühle ausdrückt: solche des Gekränkt- und Verletztseins. Zutiefst gekränkt und verletzt werden aber nicht ihre mütterlichen, sondern ausschließlich ihre narzißtischen Gefühle. Ins Wanken gerät ihr Selbstbild, weil der "ihr eigne Charme" und ihre " Liebenswürdigkeit " 32 ) bei Annie nichts auszurichten vermögen. In gewisser Hinsicht widerfährt ihr das zum ersten Mal. Denn von dem bigotten pommerschen Landadel abgelehnt zu werden, ist gewiß nicht schmerzlich, sondern eher als Kompliment zu werten; und das Ressentiment der Majorin Crampas beruhte auf wohlbegründeter Eifersucht. Innstetten hatte Effi zwar verstoßen, aber sie dürfte ahnen, wie schwer ihm diese Entscheidung gefallen ist und daß er sich nie aus dem "Bann ihrer Liebenswürdigkeit” 33 ) wird lösen können.
Annie hingegen erweist sich letzten Endes als resistent und zahlt so ihre Verletzung der Mutter heim. Weil Effi ihre Tochter nicht wirklich liebt, kann sie sich nicht in sie hineinfühlen, beispielsweise nicht begreifen, was der Verlust Roswithas für das Kind bedeutet haben muß. Aus diesem Grund verspielt sie auch ihre geringe Chance, Annie doch noch zu 'erobern'. Andererseits ist sie nicht imstande, sich ihren Mangel an Liebe einzugestehen. Denn zu ihrem Selbstbild gehört es, alle zu lieben und von allen geliebt zu werden. 34 ) Effi muß Annies Auftritt und Redeweise als fremdbestimmt erleben und als Folge extremer Dressur interpretieren. Würde sie erkennen, daß das Mädchen ganz eigene triftige Gründe hat, die Mutter abzulehnen, und wüßte sie, wo diese Gründe zu suchen sind, so wäre das für ihr Selbstbild verheerend. Müßte sie begreifen, daß sie an dem Mißlingen der Begegnung nicht ganz unschuldig ist, dann könnte sie sich nicht mehr nur als hilfloses Opfer sehen. Auch als Effi kurz vor ihrem Tod Innstetten großmütig verzeiht, daß er ihrt “eigen Kind in einer Ar Abwehr gegen (sie) erzogen haie t" 3 5) vermag sie nicht zu erkennen, was s selbst zu Annies "Abwehr" beigetragen hat. Spätestens hier könnte man einwenden, die dargebotene Argumentation sei allzu psychologisierend und projiziere heutige Erkenntnisse über das
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