Teil eines Werkes 
Bd. 2 (1910) Die Geschichte / von Gustav Albrecht ...
Entstehung
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Weber und Arbeiter aus Lyon, Holland und der Schweiz in der Hauptstadt angefiedelt in der Absicht, sie gleich Ersfeld zu einem Mittelpunkt der Seidenindustrie zu machen. Mit 80 000 Talern ließ der König einSeidenmagazin" in der Iägerstraße zu Berlin errichten, in dem alle Sorten fremder und inländischer Seide eingekauft, zum Verkauf gestellt und auf Kredit an kleine und große Fabrikanten abgegeben wurden. Ferner wurden Prämien von 4 ^ des Wertes der verarbeiteten Seide bis zum Gesamtbelauf von 20 000 Talern jährlich bezahlt. Natürlich blühte eine so stark unterstützte In­dustrie mächtig auf und beschäftigte s786 in Berlin 2300 Stühle. Freilich nur eine Treibhausblüte! Sie welkte, als die Vorteile aufhörten und Arbeitslöhne und Mieten über das Maß der konkurrierenden bescheideneren Städte hinauswuchsen.

Im Jahre s750 waren in Berlin 65st2 Franzosen in s537 Betrieben tätig; wesentlich von ihnen wurden in den 40 Jahren !740s780 folgende Fabrikate neu in Berlin hergestellt: Brabanter Kanten, Plüsch, Samt, türkische Fußteppiche, Manchester, Gaze, Seidenbänder, gemusterte seidene und baumwollene Waren. Die Förderung der Wollenindustris scheint dem Könige in Berlin weniger als in der Pro­vinz am Herzen gelegen zu haben. Das staatliche Lagerhaus wurde von der Tuch­machergilde und den Kaufleuten als ein drückendes Privilegium empfunden; da aber die Einnahmen dem Potsdamer Militärwaisenhaus zuflossen, so mochte der König daran nichts ändern. Erst das Sinken der Einnahmen vermochten ihn, s764 es der Firma Heinrich Schmidt und Söhne aus Aachen gegen eine jährlicheRecognition" in Erbpacht zu überlassen und später in den erblichen Besitz des Geheimen Kom­merzienrates Schmidt und seines Schwagers Wolf zu übereignen. In dem Eta­blissement waren s785 33h Weber auf 22 s Tuch- und Zeugstühlen beschäftigt, woraus hervorgeht, daß mehr als WO Webstühle mit je zwei Webern besetzt waren 52 Jahre nach der Erfindung des Schnellsrschützen durch John Kay in Bury! Das ist eine Rückständigkeit, die nur durch den Widerstand zu erklären ist, den gerade diese Erfindung wegen angeblicher Entziehung der Arbeitsgelegenheit für Tausende bei den Webern gefunden hatte.

Erst s782 entschloß sich der König, das Wolleinfuhrverbot und andere drückende Beschränkungen fallen zu lassen. Es war die höchste Zeit, das ganze System auf­zugeben, denn mit der Einführung der Spinnmaschinen und der maschinellen Appa­rate für Appretur begann eine neue Epoche für die Wollenindustrie. Auch sie hatte neue Artikel ausgenommen, vor allem Schals und Tücher, die dem Berliner Tertil- gewerbe bis heute in Ganz- und Halbwolle erhalten geblieben sind.

Es waren ganz gewaltige Summen, die Friedrich II. während seiner 46 jähri­gen Regierung zur Hebung der Berliner Industrie verausgabt hatte. Sie wurden später auf 2 444 765 Taler festgestellt, von denen die Tertilgewerbe den Löwenanteil hatten. Für das Jahr s782 allein wurden für die Tuchmacher- und Wollenwaren­fabrikanten der Kurmark 80 000 Taler angewiesen. Sehr erheblich waren die wäh­rend dieser Zeit eingetretenen sozialen Wandlungen. Nur die Tuchmacher, Spinner, Posamentierer hatten ihre, sich an Zunftordnungen anlehnenden handwerksmäßigen Produktionsformen behalten; in allen anderen Zweigen der Textilindustrie bereitete sich die zum Fabriksystem überleitende Arbeitsteilung zunächst in der Haus-