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Hermann Cohen als Mensch, Lehrer und Forscher : Gedächtnisrede, gehalten in der Aula der Universität Marburg, 4. Juli 1918 / von Paul Natorp
Entstehung
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später, im Januar 1876, das durch Langes Tod erledigte Ordi­nariat), hat er lange Zeit in den allerbesten Beziehungen zu Kollegen und Freunden wie Riffen, Leopold Schmidt, Varren- trapp, v. Sybel, Brieger, Lenz, Cornill, Wellhausen u. v. a. ge­lebt. Seine entschiedene Staatsgesinnung, bei strengster Unab­hängigkeit der politischen und sozialen Ueberzeugung, sein vor­behaltloser Anschluß an das deutsche Geistesleben, bei unwandel­barer Treue gegen die angestammte Religionsgemeinschaft, seine verständnisvolle Würdigung des evangelischen Christentums zu­mal in der freieren Gestaltung, für die durch den Weitblick des Ministers Falck gerade damals Marburg ein neuer Mittelpunkt wurde, alles schien ein fast ideales Zusammenwirken mit den Kollegen auch für die Dauer zu verbürgen. Die Zuspitzung der innerpolitischen Gegensätze, die Einseitigkeit eines sich selbst miß­verstehenden Nationalismus, der als Antisemitismus auch aufs religiöse Gebiet hinübergriff und den ehedem an den deutschen Universitäten vorwaltenden Zug zur inneren Befreiung und sozialen Emporhebung der bisher gedrückten Volksschichten zwar nicht ertöten konnte, aber mehr und mehr in Verteidigungsstel­lung zurückdrängte, ließ es ihm, grade nach seiner persönlichen Art, schwerer und schwerer werden, seine Umgebung zu verstehen und von ihr verstanden zu werden. Und wenngleich er sich zur strengsten Pflicht machte als Lehrer und Schriftsteller das, was in ihm oft leidenschaftlich wallte, eher zurückzudrängen und in seinen akademischen Beziehungen stets die Linie innezuhalten, die ein gegenseitiges Verstehen und Achten nicht ausschloß, so konnte es doch nicht ausbleiben, daß manche menschliche Be­ziehung zu seiner näheren Umwelt sich lockerte. Zu ernsteren Kämpfen ist es indessen erst, und eigentlich bis zuletzt nur da­durch gekommen, daß er glaubte, sein Lehramt, die Sache der Philosophie und des philosophischen Unterrichts an der Uni­versität verteidigen zu müssen gegen eine Strömung, die, in nicht oberflächlichem, aber um so tiefer wirkendem Zusammenhang mit der geänderten politischen Stimmung der Zeit, dahin gerichtet schien, die Philosophie im akademischen Lehrbetrieb zurückzu-