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drüben im Auditorium maximum, das bis auf den letzten Platz gefüllt war, gehalten hat. Er blieb ganz in seinem Sachzusammenhang, er behandelte das Kapitel der Tugendlehre, das gerade an der Reihe war. Kein Wort berührte, unmittelbar und gewollt, das, was uns alle, die wir da saßen, in dieser Stunde einzig bewegte: den Abschied. Und doch war jedes Wort so gesprochen, daß es auf den Augenblick, auf unsere innere Stellung zu ihm, seine zu uns, eben in dieser Abschiedsstunde, Anwendung litt. Er sprach von der Treue. Das war ganz unbeabsichtigt, es floß von selbst so aus seiner Seele in die unsre, weil beide in dieser Stunde eben so bewegt waren, so bewegt sein mußten. Er lebte in seiner Sache, seine Sache in ihm. Darum, wenn je einer Kants hohe Forderung erfüllt hat, daß man nicht Philosophie sondern Philosophieren lehren müsse, so er.
Hat man nun irgend welches Recht, solch reines Sichhin- geben an die Sache und Einswerden mit ihr als deutsche Eigenart auszusprechen, so wird man anerkennen müssen, dieser Jude war deutsch wie nicht mancher. Das empfanden auch seine Hörer; bis zu dem Grade, daß einmal eine studentische Verbindung, die die Bekämpfung des Judentums zu ihren Programmpunkten zählt, ihn ganz naiv zu sich einlud, und auf die verwunderte Frage, wie sich denn das mit ihren Prinzipien vertrage, die Antwort erfolgte: „Uns sind Sie kein Jude!" Das konnte denn freilich er nicht gelten lassen, denn ihm war sein Judentum heilig, nicht bloß als Sache der Pietät, des Dankes für das, was es in seiner kindlichen Erziehung ihm bedeutet hatte; nicht aus dem bloßen Bedürfnis des Zusammenhalts mit einer Gemeinschaft, die ihm fort und fort viel und Großes gab, sondern aus Überzeugung vom tiefen sachlichen Recht des Judentums und seiner vollen inneren Einigkeit mit dem Besten grade des deutschen Wesens. Wie es nun auch „objektiv" hiermit sich verhalten mag, ihm subjektiv wird man das Recht zu solcher Auffassung nicht abstreiten können. Strebe doch jede Religion sich selbst in ihren letzten, ewigsten Tiefen zu erfassen.