Tag eben auch feiern, wenn es auch nur nach Feierabend wäre. Alle waren natürlich einverstanden. Wer kümmerte sich zu der Zeit schon um den 1. Mai! An eine öffentliche Feier war noch gar nicht zu denken.
Nun, sehr großartig wurde ja auch unsere Feier, was das Äußere betraf, nicht; das eindrucksvollste war ein Banner aus Schwarzblech. Es war aber mit Mennige rot gestrichen; ein Paar schön darauf gemalte verschlungene Hände und die Aufschrift „1. Mai 1901“ fehlten auch nicht. So saßen wir denn am 1. Mai nach dem Abendbrot alle in unserem geräumigen Schlafraum beisammen. Ich, als neugebackener Geselle, hatte eine Flasche Schnaps gespendet, an der Wand hing das blecherne Banner, es wurde viel und lebhaft geredet, auch gesungen, und die Flasche ging reihum. Als wir sie endlich leer hatten, war es sehr spät geworden, und feierlich war wirklich keinem von uns mehr zumute.
Am Morgen des 2. Mai schickte der Meister mich mit meinem schweren Kopf nach Plattenburg. Dort im Schloß sollte ich einige kleine Arbeiten verrichten. Plattenburg war zwar Fideikommiß, Besitz des Herrn von Saldern, stand aber zu der Zeit unter Zwangsverwaltung. Nun hatte vor etwa einem Jahr der Baron Eckardstein das Schloß gemietet und bewohnte es jetzt mit seiner Frau und einem zahlreichen Personal. Der Baron war Besitzer des großen Gutes Kletzke; er hatte dort einen Administrator, der auch über die Vorwerke Neuschrepkow, Haaren, Karthan und über den großen Karthanschen Wald die Oberaufsicht hatte.
Eckardstein war, ehe er in Plattenburg, also in unserer Prignitz, Wohnung genommen hatte, eine Art legendäre Persönlichkeit gewesen. Die einfachen Leute bei uns zu Hause hielten ihn für einen der reichsten Männer in Deutschland. Es wurde erzählt, daß er neunundneunzig Güter hätte; und wenn es hundert wären, müsse er ein Regiment Soldaten erhalten. Das war natürlich Unsinn. Aber der Name „Baron Eckardstein“ war seit jeher bei uns zu Haus mit einem großartigen Nimbus umgeben.
Ich mußte nun also hin nach Plattenburg! Gut eine Stunde Fußmarsch. Als ich mich im Schloß gemeldet hatte, kam nicht, wie es sonst üblich war, die Mamsell oder ein Diener zu mir heraus, um mir meine Arbeit anzuweisen, sondern die Baronin selbst. Ich hatte diese Frau schon vorher einmal ganz flüchtig gesehen und dachte nun, na, die fehlt mir gerade noch! Ich hatte nämlich mit den feinen und meist hochnäsigen Damen in den übrigen Schlössern der Wilsnacker Gegend, wo wir ja auch arbeiteten, keine erfreulichen Erfahrungen gemacht. Doch als ich mir nun die Baronin verstohlen von der Seite näher ansah, stellte ich fest, daß diese schlanke, dunkelhaarige Frau auffallend hübsch war. Zu einer solchen Feststellung besitzt man ja in der Regel mit achtzehn Jahren bereits das nötige Urteilsvermögen; leider fehlt aber oft noch die nötige Selbstsicherheit, um den
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