Ganzen ihr Eigenleben mit Sitten und Bräuchen, mit Trachten und Tänzen, mit Liedern und Mundart nicht nur lassen, sondern dieses alles sogar fördern, so tun sie das wahrlich nicht aus einer sentimentalen Anwandlung oder romantischen Schwärmerei, sondern so kommt das aus einer weisen Erkenntnis des Wertes dieser Dinge. „Jedes Feuer hat seinen Herd unterwärts“, sagt unser Prignitzer Landsmann Friedrich Ludwig Jahn, und jeder einsichtige Staat sieht seine Fundamente in den ursprünglichen Kraftquellen seines Volkes. Wenn der größte Meister der deutschen Sprache, Johann Wolfgang Goethe, sich dazu bekennt, daß die unerschöpflichste Quelle für die Lebendigkeit und den Reichtum einer Volkssprache die Mundart ist, so weiß er, daß alle „Sprachschöpfer“ immer ihre Schätze aus- der Ursprünglichkeit der Dialekte und des Volksmundes holen. „Man muß dem Volke aufs Maul sehen“, sagt Martin Luther. Und wenn unser Staat die Mittel zur Mundartforschung und hier speziell für unser niederdeutsches Platt zur Verfügung stellt, so will er damit nicht lediglich ein nationales Kulturerbe registrieren, sondern er will es hüten und alles tun, um es auch fernerhin lebendig und wirkungsvoll sein zu lassen.
Mit dein Plattdeutschen erhalten wi£ unserem Volkstum einen kostbaren Schatz. Das Platt ist dem niederdeutschen Menschen auf den Leib geschnitten. Es ist nicht elegant, sondern derb und knorrig. Es spiegelt Bodenständigkeit, Behäbigkeit und Gelassenheit des Norddeutschen wider, und es hat tief verwurzelt in sich einen trockenen und oft drastischen Humor. Man kann in seiner Ursprünglichkeit und Natürlichkeit, ohne Anstoß zu erregen, in Platt Dinge sagen, die sonst ein Pikiertsein und ein Nasenrümpfen auslösen würden. Man spricht und schreibt in niederdeutschen Sprachen ganz amtlich und ungeniert vom „Schietweder“, während das entsprechende hochdeutsche Wort schwerer über die Zunge und aus der Feder gehen würde. Als wir im letzten Krieg einen belgischen Jungen in unser Haus bekamen, sprach der nur französisch. Meine paar Brocken davon ließen die Unterhaltung kümmerlich sein. Plötzlich wurde der kleine Robere lebhafter, er gestikulierte und er redete dringender auf uns ein. Die ganze Familie stand ratlos um ihn herum. Da fing er an, von einem Bein auf das andere zu springen, und in der höchsten Not entfuhren ihm die Worte: „Ick mutt pissen, ick mutt pissen!“ — Alles jubelte erleichtert auf, und meine Frau schob glückstrahlend mit ihm ab. Das Plattdütsche hatte die Situation gerettet. Hinterher stellte sich heraus, daß Roberts Mama eine Flämin war, und von ihr hatte er diese „Muttersprache“ ge- gelernt. Wie ja auch das „Manneken Pis“ in Roberts Heimatstadt Brüssel ganz ungeniert und munter plätschernd sein Wasser laufen läßt und durchaus keine anstößige Figur ist. Als originelle Weltberühmtheit ist es viel bewundert, oft beschmunzelt und oft fotografiert.
Wenn wir uns in die vielfältigen Ausdrucksformen unserer heimatlichen Mundart vertiefen wollen, so ist vor allem die „Poesie“ die ergiebigste
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