Heft 
(1913) 1
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anderes Volk bald wieder versunken, während die Germanen in langsamer und stetiger Entwickelung fortschritten und heutigen Tages die germanischen Stämme die weltbeherrschenden sind. Man braucht da nur an Deutschland, England und Amerika zu denken. Kein Bolk aber kann inehr werden, als in seiner Anlage enthalten ist, und die Wurzeln unserer Kraft und unseres Werdeganges sind schon in der Vorgeschichte, in der Bronzezeit zu sehen. Das alles ausführlich zu schildern, soll späteren Heften Vorbehalten sein.

Ein sehr gutes Beispiel von germanischem Kunstempfinden geben uns die Bronzen von Wutike. Welche schöne Form besitzen nicht die beiden Gefäße, und wie schwierig war doch ihre Herstellung! Fragen kann man sich auch, wo kam denn die Bronze her, die in unsrer Heimat benutzt wurde, und in welcher Form er­hielten sie die Gießer? Auch darüber können unsere Funde uns Auskunft geben. Herr Filter aus Silmersdorf schenkte dem Museum nebst einigen anderen Gegenständen auch einen halben Bronzebarren. Der Barren hatte die Fornr eines langen Brotes, dessen beide Enden etwas zngespitzt waren. In dieser

Gestalt wurde die Bronze zu uns eingeführt und bei uns weiter verarbeitet.

An dem halben Barren aber kann man auch sehen, daß nicht mehr Bronze geschmolzen wurde, als unbedingt nötig war, und die Leute unnütze Arbeit und Feilerung sparten. Wie aber war der Hergang beim Gießen der beiden Gefäße?

Man machte zuerst aus Ton einen Kern, der die Form erhielt, welche das

fertige Gefäß später innen haben sollte. Hierauf modellierte man das Gefäß aus Wachs um den Kern herum, indem man dem Wachsgefäß die Dicke gab, die man für das spätere Bronzegefäß wünschte. Bei unserem Bronzegefäß ist auch die Verzierung, die wie eine gedrehte Schnur aussieht, gleich in Wachs modelliert worden, llm das Wachsgefäß wurde nun vorsichtig ein Mantel aus Ton gelegt, der sich dem Wachs genau anpaßte.

War alles getrocknet, so wurde die ganze Form erwärmt, und das Wachs schmolz ans einigen Oeffnungen, die man im Mantel gelassen hatte, heraus. Da, wo sich früher das Wachs befand, war nun ein hohler Raum, den später beim Gießen des Gefäßes die Bronze anfüllte. Warum aber genügte zum Gießen nicht eine einzige Oeffnung ini Mantel? so wird man sich fragen. Auch diese Frage ist sehr einfach zu beantworten. Es müssen verschiedene Oeffnungen sein, damit die Luft entweichen kann, die sich in der Form befindet, und beim Gießen durch die Bronzemasse verdrängt wird. Könnte die Luft nicht entweichen, so würde die Bronzemasse blasig, brüchig und schlecht werden. Auch solche fehler­haften Stücke hat man manchmal gefunden. Sie entstehen meist dadurch, daß die Oeffnungen im Mantel, die man Pfeifen nennt, weil die erhitzte Luft mit einem pfeifenden Geräusch entweicht, nicht groß genug waren und die Luft nicht schnell genug entweichen konnte.. Man sieht aus der Beschreibung des Gießens, wie kompliziert diese Arbeit war, und man kann sich denken, welche Summe von geistiger Arbeit dazu gehört hat, ehe man die Gießerei auf diese Höhe brachte. Ohne die Erfindung unserer Ahnen wäre unser heutiges Leben einfach undenkbar, und man ersieht daraus, was wir der Vorzeit schuldig sind. Um das Gefäß zu erhalten, mußte man den Mantel aus Ton zerschlagen. Daher nennt man diese Art des Gießens: Das Gießen in der verlorenen Form.

Fertig aber war das Gefäß nun noch nicht. Man kann auf dem Bilde sehen, daß kleine senkrechte und wagerechte Punktreihen um das Gefäß laufen, und deren Herstellung ist noch zu beschreiben. Diese Punktreihen sind mit einem spitzen Bronzewerkzeug, Punze genannt, in das Gefäß eingeschlagen. Man kann den Bronzen ganz genau ansehen, in welcher Art das gemacht worden ist. Das Gefäß ist ziemlich dünnwandig, und jede Vertiefung, die man außen ein­schlägt, müßte sich auf der Innenseite durch eine kleine Erhöhung kenntlich machen. Das ist aber nicht der Fall. Also bleibt nur die Annahme übrig, daß das Bronzegefäß beim Einschlagen der Verzierungen über einen festen Gegenstand gelegt war, welcher verhinderte, daß sich auf der Innenwand eine Erhöhung bildete. Als das Nächstliegende, das zu verhindern, käme nur der