Heft 
Sonderheft 1, Zeitbilder: Zwei Fragmente von Theodor Fontane "Sidonie von Borcke" und "Storch von Adebar"
Seite
65
Einzelbild herunterladen

protestantischen Geistlichen zusammen und erklären Sie miteinander dem Kirchenregi- mente offen ins Gesicht: »Wir sind protestantische Männer, die keinen unfehlbaren Papst, wohne er nun in Rom oder in Berlin, als Richter über ihren Glauben anerkennen. Wir sind außerdem wissenschaftlich gebildete Theologen, und als solche wollen wir auch auf die Bibel und die Bekenntnisschriften die Grundsätze der Wissenschaft anwenden; als solche verweisen wir alle Wunder dahin, wohin sie gehören, in das Gebiet der Mythologie; als solche überlassen wir endlich das Dogma von der Gottheit Christi den römischen Hinrar- chen und solchen, die es werden wollen.« Schocken Sie dann eine solche Erklärung an den preußischen Ober-Kirchenrat, aber eingeschrieben mit Rückschein, damit dieselbe nicht in den Papierkorb wandern kann. Und wenn Sie das getan haben, dann zählen Sie wieder auf mich, dann will ich wieder in Ihren Reihen stehen und fröhlich mitkämpfen. . . . So­lange Sie aber nichts tun, als Vorträge im Unionsverein halten und Resolutionen fassen, sind Sie und Ihre Gesinnungsgenossen mir zu zahm.«

Es ist nicht anzunehmen, daß der Protestantenverein den Ratschlägen seines früheren, ihm jetzt recht unbequemen Freundes, der, wie Prediger Richter meinte, nach Art der Sozial­demokraten für den Austritt aus der Landeskirche agitiert, Gehör schenken und Folge leisten wird.

Zur Sonntagsruhe

Oft schon ist die Frage zur Sprache gekommen, ob es denn durchaus notwendig sei, daß bei Fabriken, Brennereien, Brauereien auch an Sonn- und Feiertagen gearbeitet werden müsse. Zumeist erfolgte dann die Antwort, daß ein Stillstehen derartiger Anlagen an ein­zelnen Tagen mit großen pekuniären Nachteilen für den betreffenden Besitzer verknüpft sein würde. Dem gegenüber sind wir heute in der Lage, einen erfreulichen Beweis für die geringe Stichhaltigkeit solcher Ausflüchte beizubringen und ein Zeugnis dafür, daß es zu­meist wohl nur an dem guten und festen Willen der einzelnen liegt, wenn dem Sonntage sein gutes Recht geschmälert wird. Willenskraft Wege schafft. Auf einem Dominium in der Neumark besteht eine der größten Brennereien Deutschlands. Als der jetzige Besitzet die­sen Besitz erkaufte, fand er die ganze Wirtschaft auf die Brennerei basiert, die Brennerei aber in Unordnung. Der Betrieb dieser Brennerei kann nunmehr, unter der Leitung des dort in Dienst getretenen bekannten Brennerei-Technikers Herrn Böhm stehend, nachdem die Paukschen Apparate in einigen ihrer Mängel vervollkommnet sind, als ein fast muster­gültiger gelten. Was aber dabei eine besondere Freude macht, ist, daß der Besitzer es durchgesetzt hat gegen alle seine Beamten, auch gegen den genannten Techniker, daß die Brennerei am Sonntage stille steht und so die Feiertage nicht entheiligt. - Zu diesem Zwecke wird donnerstags nicht gemaischt und mittwochs nicht gebrannt, sonntags weder gemaischt noch gebrannt. Diese Art des Betriebes ist nun schon über Jahr und Tag durch­geführt, und trotzdem liefert die Brennerei wöchentlich von 975 Zentnern Kartoffeln und 40 Zentnern Gerste 7000 Liter 8;grädigen Spiritus ab, der über Berlin nach Spanien geht. Da auch der Viehstand vortrefflich im Stande ist, so hofft der Besitzer den Vorwurf, wel­cher dieser Art der Fabrikation häufig gemacht wird, daß durch sie der Sonntag entheiligt werden muß, ein für alle Mal durch die Tat widerlegt zu haben.

Aber der Radikalismus wird sich verrechnen! Die Aufgabe, den elementaren Laienunter­richt im französischen Volke durchzuführen, erscheint als unlösbar. Es werden sich niemals die genügenden Kräfte für diese Aufgabe außerhalb des Klerus auftreiben lassen. Zwar nicht deshalb, weil der Franzose, wie man sich wohl in Deutschland falsch vorstellt, an strenger Arbeit überhaupt kein Gefallen fände. Der Franzose arbeitet im Gegenteil mit unglaublicher Ausdauer und Leichtigkeit. Aber äußerst selten aus Liebe zur Sache, wie der Deutsche. Er arbeitet meist, um Geld, Ehrenzeichen, Stelle, Platz im Institut usw. zu be­kommen. Hat er das Gewünschte erlangt, dann wirds auf einmal still. Und zwar ist es in der Regel ein zeitliches Gut, das der Franzose mit seiner Arbeit zu erringen sucht. Er nennt diese Lebensanschauung naiver Weise »praktisch«, wenn er sie mit unserem »zweck­losen«, uneigennützigen Arbeiten vergleicht, das von dem Motiv geleitet wird, der Wahr-

6 ;