Graf Petöfy von Theodor Fontane.
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ziemlich scharf zu kritisiren. „Er ist doch nur groß im Genre. Das Tragische versagt ihm. Auch hätt' ich ihn seiner Maske nach eher für einen portugiesischen Granden aus der Pombalzeit und namentlich auch von Pombal'scher Abstammung als für einen französischen Grandseigneur gehalten."
Einen Augenblick später erhob man sich und kehrte gemeinschaftlich in das Petöfy'sche Palais zurück, wo der Thee wie gewöhnlich im Zimmer der alten Gräfin genommen werden sollte. Feßler wartete schon der Heimkehrenden und empfing die Gräfin mit einem Scherzworte.
„Rückfall in alte Thorheiten," erwiederte diese nicht ganz frei von Verlegenheit. „Und wissen Sie, Feßler, womit mein Bruder mein Gewissen zu beschwichtigen gesucht hat? Mit dem sakrilegischen Satz: ein Komödiant könnt' einen Pfarrer lehren."
„Es kommt aus den Pfarrer an," entgegnete der Liguorianer und nahm gut gelaunt und unter Verneigung gegen Gras Adam seinen Platz am Tisch, auf den eben die Couverts gelegt und die Gläser gestellt wurden.
Das sich entspinnende Gespräch behandelte natürlich den Herzog von Chevreuse, und Egon kam in die peinliche Lage, den Inhalt des Stücks vor Feßler skizziren Zn müssen. Er that cs aber in guter Haltung, und auch Franziska, die sich wieder zurecht gefunden hatte, blieb anscheinend unbefangen.
Es war nur Claret ausgestellt worden, und Egon, seit lange daran gewöhnt, im Salon der Tante den Wirth zu machen, nahm eben eine der Flaschen, um selber den Kork zu ziehen. Es gelang ihm aber, wie der Zufall eben sein Spiel treibt, nicht ohne Kraftanstrengnng, und als er die Flasche wieder niedersetzte, sah die Tante, daß er an dem Ringfinger der linken Hand blutete.
„Was hast Du?" fragte die Gräfin.
lind es stellte sich nun heraus, daß ein kleines, dünnes Ningelchen, das er halb versteckt unter einem großen Türkisringe trug, in Folge der Anstrengung zerbrochen und mit einer seiner Spitzen ihm in das Fleisch eingedrungen war. Er Zog das Ringelchen ab und schob es, so gut es ging, auf den Ringfinger der andern Hand, der Oheim aber erkannte sofort, daß es der kleine Ring mit dem Emaille- Vergißmeinnicht war, der damals in Franziska's Zimmer an dem Schmuckständerchen gehangen und ihn um seiner Einfachheit willen so sehr frappirt hatte.
„Wie Du nur blutest," sagte er, während er noch immer auf den Ring sah. „Und solch' Ringelchen ! Man sollte nicht glauben, daß es so tief verletzen könne. Wo stammt es nur her? Alles in Allem kann es weder aus den Kronjnwelen der Petösys noch ans denen der Aspergs kommen."
„Ich trag' ihn noch von der llleolo inMaire her," stotterte Egon. „Es war unser Verbindungs- zcichcn."
„Ah, Verbindungszeichen. Wohl, wohl; das gewöhnliche Loos der Ringe. Nun, hoffentlich nichts Hochverrätherisches. Unter allen Umständen aber nehmet euch in Acht, ihr jungen Leute. Wir sind noch nicht so heraus aus der alten Zeit, als Manche
Deutsche Roman-Bibliothek. XII. 17 .
glauben; es findet sich immer noch 'mal ein Spitzel, der uns auf die Finger sieht."
Und damit kehrte das Gespräch auf allerlei Theaterdinge zurück.
Dreiunddreitzigstes Kapitel.
Er sah nun klar, und nur in dem Einen sah er nicht klar, was zu thun sei. Sollte er sich den lächerlichen Herzog zum Muster nehmen, über den Judith in ihrem einfachen Ausspruch: „Ich find' es aber doch übertrieben," erbarmungslos zu Gericht gesessen hatte? Nein, es ging nicht. Und überhaupt, was war denn geschehen? Es war nur geschehen, was geschehen mußte. War er nicht allezeit so stolz gewesen ans seine Kenntniß von Welt und Menschen, vor Allem auch auf sein Freisein von Vorurtheilen in dem, was er den natürlichen Gang der Dinge nannte? Was gab ihm jetzt ein Recht zu der Annahme, daß ihm zuliebe dieser natürliche Gang der Dinge sich in sein Gegentheil verkehren werde?
In solche Betrachtungen vertieft, die beständig zu Selbstanklagen wurden, schritt er, als er von Schwester Judith in den andern Flügel zurückgekehrt war, auf dem Teppich seines Zimmers auf und ab. Er öffnete das Fenster und sah, während ein gedämpfter Lärm von der innern Stadt her herüber- fcholl, auf die stille Straße hinunter. Ein offener Wagen, in dem ein junges Paar saß, rollte vorüber, und das Licht der Gaslaterne siel aus eine zarte Gestalt, Mädchen oder Frau, die sich müd' und glücklich an die Schulter des Geliebten lehnte
„Sie sind jung und lieben einander. Und das ist das Natürliche. Narr, der ich war, als ich mir ein Etwas ausdachte, das halb von der Sultanin Scheherezade, aber halb auch von der heiligen Elisabeth abstammen sollte; Dame von Welt, aber auch Nonne, weiblicher Lsprit kort, aber in Klausur. Im Einfachsten Hab' ich mich verrechnet... Es gibt wohl Vögelchen, die winterlang das Bauer nicht verlassen und nicht fortfliegen, auch wenn ihre Gefüngniß- thür offen steht. Gewiß. Aber wenn der Frühling gekommen ist und es draußen lockt und ruft, dann regt sich's doch immer wieder hier, dann siegt der Hang und Drang im Herzen, und frei sein in der Luft hoch oben und sich jagen und schwingen und zwitschern, das ist dann mehr. Ich wnßt' es wohl, aber ich vergaß es, weil ich's vergessen wollte."
So sprach er vor sich hin und trat dann vom Fenster her wieder an seinen Arbeitstisch zurück, auf dem in geschnitztem Rahmen eine Photographie Fran- Ziska's stand. Er nahm sie von der kleinen Staffelei. „Das war damals, als wir in Riva waren; ich entsinne mich noch des Tages. Und wie klug und ruhig sie mich anblickt!"
„Aber darf ste's nicht?" unterbrach er sich plötzlich, und unter ihrem ruhigen Blicke schien ihm selber etwas wie Ruhe wiederznkommen. „Was weiß ich am Ende? Was Hab' ich in Händen? Ich habe nichts als den Ring, auf den hin ich den Schwiegersohn des alten Brabantio spielen konnte. Soll ich's? Soll ich aus der Taschentuch- eine Ringszene machen
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