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Graf petöfy von
ich; wir bleiben in Wien, unter Menschen, und ich vergrabe mich nicht in eine Schloßeinsamkeit; ich muß Verehrer und Anbeter um mich haben, die mir schöne Dinge sagen und die mich heut in das Konzert und morgen in die Oper begleiten/ — ja, hätte sie sich von An sang an ans solch' freien und allerfreiesten Ton gestellt, auf einen Gesellschafts- und Lebensfuß, auf den sie sich stellen durfte, so hätte mir ihre Plauderei genügt, und die gesunde Luft ihres Bonsens und der Sonnenschein ihrer ewig guten Laune wären mein Glück gewesen. Das war es, was ich damals in Oeslau wollte. Statt dessen hatte sie's besser mit mir im Sinn. Wohl, ich wäre glücklicher geworden, wenn sie dieß Bessere nie gewollt und, statt auf ihr Recht und ihre Freiheit zu verzichten, sich umgekehrt von Anfang an auf ihr Recht und ihre Freiheit gestellt hätte. Gewiß, getviß. Aber soll ich den Entrüsteten spielen, bloß weil sie sich freiwillig höher eingeschätzt hat, als ihr Vermögen war?!"
Er stellte sich vor den Kamin und warf ein Scheit in die halb erloschene Flamme. „Mein Kalkül war falsch, und Judith hatte Recht. Das ist Alles. Es thut nie gut, sich in künstliche Situationen hineinzubegeben und sich auszurechnen, wie's komnien müsse. Die Rechnung stimmt nie. Wir kennen uns nie ganz ans und über Nacht sind wir Andere geworden, schlechter oder besser. Schlimm, wenn wir uns schlechter vorfinden, aber oft schlimmer noch, wenn besser. Es gibt dann ein Wirrsal, draus kein Entrinnen ist, und daß wir, sie wie ich, das Leben ernsthafter zu nehmen anfingen, als es geplant war, das entscheidet nun über mich und vielleicht auch über sie."
Von der Flamme fort sah er jetzt in die Höhe, wo dicht über dem Kamin und mit dem breiten Goldrahmen die Kaminkonsole berührend ein Bild hing, sein Bild, im Attila und das Ordensband über der Brust. Typisch der Kavalier. Und er lächelte. „Ja, was ich wollte, war eine Kavalierslaune, von der ich schließlich eiusehen muß, daß sie nicht der Schlüssel war, der überall hin schließt. Aber für das, was ich noch vorhabe, was noch zu thnn übrig bleibt, dafür paßt sie; nur nicht Umkehr oder die Blume der Unkonseqnenz, und wenn es von alter Zeit her als ein Höchstes gegolten hat, Anderen zuliebe zu leben, so kann es unmöglich ein Niedriges sein, demselben auch von der andern Seite her beikommeu oder es ans dem bekannten Wege der Verneinung erreichen Zn wollen. Auf den Zweck kommt es an, der entscheidet, der heiligt. Alter Grundsatz der Kirche. Wie sich Wohl Feßler dazu stellen wird?"
Er setzte sich jetzt nieder und schrieb eine Stunde lang, anscheinend Geschäftliches, das er schließlich untersiegelte. Dann nahm er einen Briefbogen, warf rasch einige Zeilen hin, überflog noch einmal den Inhalt und verschloß beide Schriftstücke.
Den andern Morgen war er früher als gewöhnlich auf und klingelte. „Bringe das Frühstück, Andras. In einer Stunde will ich ausreiten."
Im Palais war Alles noch still, als der Graf sich in den Sattel hob und Zunächst über den Josephsplatz auf den Kärnthnerring und die Schwarzenbergbrücke zuritt. Andras folgte. Das Eckhaus der
Theodor Fontane.
Salesinergasse, darin Franziska gewohnt hatte, lag in einem grauen Novembernebel; er sah hinauf, aber die Fenster der oberen Etage waren unerkennbar. „Ich soll es nicht sehen. Alles hat seine Bedeutung." Auf dem Heumarkt, am Fluß und feiner Brücke hin herrschte schon das lebhafte Treiben, das hier allmorgendlich auzutrefsen ist, aber es hatte nichts von seiner gewohnten Buntheit, und die Gestalten schoben sich wie Schatten aneinander vorüber. „Ist es doch, als ob es ein Unterweltsjahrmarkt wär'. Und hätte doch mein altes Wien gerne noch 'mal in Lust und Farbe gesehen."
An der Tegethoffbrücke bog er wieder ein und lenkte sein Pferd am Stadtpark hin auf die große Franz-Josephskaserne zu, die grau verschleiert wie eine Wolkenburg dastand. Vom Kasernenhofe her klangen Trommeln und Hörner, aber dumpf wie Nothsignale.
So ritt er durch die Leopoldstadt bis in den Prater.
Als er draußen war, fiel der Nebel so stark, daß es sich einen Augenblick anließ, als ob die Sonne Hervorkommen wolle. Doch es blieb bei dem guten Willen und nur der Blick in die Landschaft war frei geworden. Er ritl an Plätzen vorbei, daran sich hundert Erinnerungen für ihn knüpften, bis er zuletzt .auf eine künstlich aufgeworfene Höhe gekommen war, von der aus man einen Wiesengrund übersah, eine Niederung mit Tümpeln und Wasserlachen und ein paar schmalen Sandstreifen dazwischen. Eine der Lachen hatte Zustuß aus einem Graben und das Wasser stieg in Folge davon so rasch, daß es nicht bloß die Sandstreifen, sondern zugleich auch eine hier eingenistete zahlreiche Kolonie von Feldmäusen mit Ueberschwemmung und Untergang bedrohte. Zu hundert und aber hundert kamen sie von links und rechts her aus ihren Löchern hervor, um sich auf eine höher gelegene Stelle hin zu retten. Aber kaum daß sie sich hier gesammelt hatten, so schoß auch schon von einer daneben stehenden und in ihrer ganzen obern Hälfte mit Nestern überdeckten Pappel allerlei Krähenvolk auf die geflüchteten Mäuse nieder und fuhr mit ihnen als gute Beute davon.
Der alte Graf hatte sein Pferd augehalteu, um dem sonderbaren Schauspiele zuzusehen. „Ueberall dasselbe: keine Flucht vor dem, was einmal beschlossen."
Er ritt weiter in den Prater hinein und eine halbe Stunde später an dem Liechteustein'schen Garten vorüber heimwärts auf sein Palais zu.
Es war elf Uhr, als er hier wieder eintraf und das Pferd abgab. Er sprach mit dem Thürhüter, der wie gewöhnlich am Eingang in das Vestibül stand, und erkundigte sich, ob die großen Topfgewächse schon angekommen seien.
„Alles da."
„Gut. Aber ich will es doch sehen. Komm'. Oder nein, bleib'; Andras soll mich begleiten."
Und er stieg in den oberen Stock hinauf, in dem für das heute stattfindeude Fest Alles bereits in Geschäftigkeit war.
„Es wird Niemand erscheinen," sprach er vor sich hin. „Aber ich will die Stelle doch sehen, wo