Heft 
(1885) 34
Seite
805
Einzelbild herunterladen

Graf Petöfy von Theodor Fontane.

805

statt des stattlichen Feßler der kleine Pfarrer von Szegenihaza die Todtemnesse las und an Stelle der vornehmen Welt nur Dienerschaften und Tage­löhner um den Altar mit dem großen, verblakten Marienbilde her versammelt waren. In Front aber saßen die beiden Gräfinnen selbst, den Blick auf den mit neuen Kränzen geschmückten Sarg gerichtet. Auch Hannah war in einem fast bis an's Kinn reichen­den Trauerkleide anwesend und sah ernst und theil- nahmvoll vor sich hin, immer aber, wenn wieder unverständliche lateinische Sätze gesprochen und das Weihranchfaß geschwenkt wurde, lag etwas wie Ver­drießlichkeit und Ueberhebnng auf ihrem Gesicht. Endlich schloß die Feier, Alles kehrte zu seinem Tage­werk zurück, und nur die Glocken oben klangen noch über Land und See hin.

Es waren aber wieder zwei, die geläutet wurden.

Franziska hatte sich bald darnach in ihre Zimmer zurückgezogen und blickte, nachdem sie lange vergeblich sich zu beschäftigen und in einem Andachtsbuche zu lesen versucht hatte, zu der Nische mit dem Baldachin hinauf, von woher ihr das Christkind den kleinen Arm entgcgenstreckte. Sie nahm den daran hängen­den Rosenkranz und ließ die Perlen desselben eine nach der andern durch ihre Finger gleiten. Da war es ihr, als ob hinter ihr die Thür ging, und Hannah's ansichtig werdend, steckte sie, wie von einer leisen Verlegenheit erfaßt, den Rosenkranz in den Gürtel, in der Hoffnung, daß seine Perlen auf dem schwarzen Kleide vielleicht weniger sichtbar sein würden.

Aber Hannah sah es doch und sagte:Laß nur. Ich Hab' es mir lange gedacht. Es kommt nun doch so."

Vielleicht. Aber denke Dich in meine Lage. Kannst Du mir böse sein?"

Hannah schüttelte den Kopf.

Du List mir also nicht böse. Nun, das ist gut, aber es ist mir nicht genug. Ich will auch Deine Gutheißung. Und wenn Du mir die nicht geben kannst, so will ich wenigstens, daß Du sagst: ,Jch glaube selbst, es geht nicht anders?"

Sieh'," fuhr Franziska fort, als Hannah immer noch schwieg,Du bist so gescheidt und mußt ein- sehen, daß Alles sein Gesetz und seine natürliche Folge hat. Ich bin nun Gräfin Petöfy, ja, seitdem ich dieß schwarze Kleid trage, mehr als vorher. Es war nicht nöthig, daß ich's wurde; vielleicht wär' es besser gewesen, ich wnrd' es nicht. Aber ich bin es jetzt und kann den Schritt nicht rückwärts thnn. Dieß Schloß ist mein und sein Besitzantritt, wie Du weißt, an keine Bedingung geknüpft; ich Hab' es zu freiem Eigenthum. ,Also wieder 'mal eineFreiheit"' wirst Du sagen. Aber diese Freiheit wenigstens will ich zu gebrauchen verstehen, und nur das soll ge­schehen, was mir ziemt."

Und glaubst Du wirklich, daß Dir als Erstes geziemt, einen Rosenkranz, wenn auch verschämt, an Deinen Gürtel zu stecken?"

Ja, Hannah. Ich will nun Pflichten leben. Es soll dieß nicht bloß mein Witthum, es soll auch mein Wirkungskreis sein, und ich kann hier nicht wirken als eine Fremde. Was dieser Leute Sinnen

und Trachten ausmacht, muß auch mein Sinnen und Trachten ausmachen; wir müssen Eins sein in diesen Dingen, sonst geht es nicht."

Hannah antwortete nicht.

Sprich. Was denkst Du?"

Was ich denke? Nun, Franziska, Gräfin, da Du's durchaus wissen willst, was ich denke, so will ich Dir's auch sagen. Ich denk' an meinen Vater- selig, den ich eines Abends, als er dachte, ich schliefe schon, in seinem Halbplatt zu meiner Mutter sagen hörte: ,Hür, Olling, mit uns' oll Paster Franzen is dat nich veel. Hüt is he so un morjen is he so? Und als meine Mutter nun widersprach und zum Guten reden wollte, da wnrd' er ärgerlich und sagte: ,Nei, nei, Mutter, bis still; dat versteihst Du nich; ick awer, ick kenn' en. Un wenn morjen de Franzos o'r de Rufs' kümmt un uns vörpriestern deiht,mit uns' Herrn Christus wihr dat man nix un de heil'ge Niklas de wihr Ollens", denn priestert oll Franzen övermorjen:un de heil'ge Niklas is Ollens"? Und sieh', Franziska, das hast Du von Deinem Vater- selig geerbt. Aber ich will nicht, daß sich meiner im Grabe umdreht. I, da ging' ich ja lieber bis an der Welt Ende. .. Weiß wohl, Manchem is es bloß wenig. Aber Manchem is es auch viel."

Und so willst Du fort?"

Nein. Ich Hab' Dich nun 'mal in mein Herz geschlossen, und weil ich Dich liebe, bleib' ich. Aber­bei meinem lutherischen Katechismus bleib' ich auch."

Anr anderir Morgen trafen sich die beiden Grä­finnen, und Gräfin Judith erzählte, sie habe Feßler um seinen Besuch auf Schloß Arpa gebeten, in der Voraus­setzung, daß Franziska diesen Schritt billigen werde.

Franziska küßte die Hand der alten Gräfin und sagte:Nie werd' ich Schritte mißbilligen, die Gräfin Judith gethan hat oder zu thnn für gut findet."

Beide Damen sprachen dann noch über Vieles, was zu regeln und anzuordnen sei, zuletzt aber sagte Judith:Ich stimme dem zu, meine liebe Franziska, daß Du Dich zurückziehen und der Betrachtung und den guten Werken leben willst. Aber Du bist noch jung, und der Zug in die Welt hinein ist mächtig. Und so denk' ich denn, wir rechnen vorläufig noch mit der Welt, die so vielen Zauber hat. Ich habe Dein Vertrauen gewonnen, fast Deine Beichte; jede Scheidewand zwischen uns ist gefallen, und unser Fühlen und Denken gehört einander. Ist es nicht so? Nun denn, so gestatte mir schon heute die Frage: Wirst Du Egon Deine Hand reichen?"

Ich wünsche, daß er sie nicht fordert, aber wenn er sie fordert: nein."

Es klingt etwas Herbes in Deiner Antwort. Verdient er es?"

Nein. Aber wir sind allemal hart gegen Die, die schuld sind an unserer Schuld. Und um so härter, je schuldiger wir uns selber fühlen."

Und wer soll Dich schützen?"

Ich denke, sie, die schon so viele Gräfinnen Petöfy beschützt hat."

Und sie wies auf die Nische, daraus das Bild der Maria niederblickte.