Anstrengung überhoben, als ein Fuhrwerk herankam, dessen eiserne Kummetkette an der Deichsel klapperte. Lewin kannte das Gespann. Es war der Manschnower Müller.
„Guten Abend, Kriele. Noch so spät bei Weg?"
„Mau möt wull, Jungeherr. Se weten doch, Wat mi passirt is?"
„Ja, Kriele. Aber wie konnten Sie nur das Geld unter die Diele legen?"
„Ja, wo sull man mit Heu, Jungeherr? De een Stell is so schlecht as de anner. Ick will all nu nach Frankfurt. Morgen ist Verhür."
„Haben sie denn die Diebe schon?"
„Se hebben Paschken und Pappritzen, de immer mit dabi sinn. Aber Justizrath Tnrgany hatt mi seggen laten: Pappritz is et »ich. Un mit Paschken wihr et ooch man so so."
„Nun, der Justizrath versteht es. Grüßen Sie ihn von mir."
„Dat will ick utrichten, Jungeherr."
Dabei zogen die Pferde wieder an; eine Weile noch hörte man das „Hü!" des Müllers und dazwischen das Klappern der Kette. Dann war alles still.
Die Begegnung, unbedeutend wie sie war, hatte wenigstens die Zungen gelöst. Tubal fragte, Lewin antwortete, und ehe noch die Familiengeschichte des Manschnower Müllers auserzählt war, hielten die beiden Freunde deni Hohen-Vietzer Kirchthurm gegenüber. Sie bogen aus der Pappelallee links ein, folgten dem Laufe eines kleinen Grabens, der sich quer durch den Acker hinzog, und standen alsbald an einem verschneiten, wohl zwanzig Fuß hohen Abhang, von dem aus nicht Weg, nicht Steg zum Fluß hinunter führte. Zum Gehen war es zu steil, zum Springen zu hoch, so legten sich beide, Gewehr im Arm, auf den Rücken, drückten die Schultern fest in den Schnee und glitten glücklich hinab; freilich nur, um sofort vor einem neuen ernsteren Hindernisse zu stehen. Inmitten des Flusses ließen sich einige Tannen erkennen, die den Längsweg bezeichnten, aber kein Querweg, der sie bequem und sicher hinüber geführt hätte, war abgefteckt. Tubal schritt nichtsdestoweniger vorwärts und wollte den Uebergang forciren, aber Lewin litt es nicht.
„Du weißt nicht, was Du thust. Es ist das difficilste Terrain. Ueberall hier herum hauen die Dorfleute große Löcher in das Eis; es ist der Fische halber, die sonst ersticken. Das übersriert dann, und der Schnee verweht die Stelle."
„Aber wir müssen doch hinüber?"
„Gewiß, aber nicht hier. Es wird sich schon ein Uebergang finden. Tausend Schritte weiter aufwärts zweigt der Weg nach Gorgast ab. Das ist ein großes Dorf. Ich bin sicher, daß sich die Gorgaster eine Kuschelallee abgesteckt haben."
„Nun gut, Du mußt es wissen." Damit schritten beide Freunde am Flußrande hin, der oft so schmal war, daß sie mit ihrer rechten Schulter den verschneiten Abhang streiften. Es war ein beschwerlicher Marsch, namentlich da, wo große Büsche von rothem Werft überklettert werden mußten. Endlich sahen sie die Stelle, wo von rechts her eine Art von Hohlweg einmündete und sich quer über das Eis hin fortsetzte.
„Unsere Irrfahrt geht zu Ende," sagte Lewin und wies aus die schwarzen zugespitzten Bäumchen, die sich bald deutlich als die Kiefern einer Querallee erkennen ließen. „Mehr Abenteuer, als ich zwischen Kirch-Göritz und Hohen-Vietz für möglich gehalten hätte."
„Und wir sind noch nicht im Hafen," antwortete Tubal. „Ein russischer Feldzug im Kleinen. Schnee, Schnee. Ut vollä la Löremns."
„Aber keine Brücke wird unter uns zusammenbrechen," scherzte Lewin und bog voranschreitend in den abgesteckten Weg ein, der die beiden Freunde nach wenigen Minuten schon sicher ans andere Ufer führte.
Hier überstiegen sie zunächst den Höhenzug, auf dem sie nach links hin den Hohen-Vietzer Kirchthum noch eben erkennen konnten, und sahen sich nun gezwungen, dieselben tausend Schritte wieder zurück zu marschiren, die sie jenseits über das Ziel hinaus geschossen waren. Der Weg, den sie noch zu machen hatten, lief zunächst am Fuße des Hügels, dann aber an einer dichten Schonung hin, von deren vorderstem Eck aus höchstens ein
Büchsenschuß bis zum Dorf und kaum halb so weit bis zur großen, von Küstrin auf Hohen-Vietz zu führenden Straße war.
Als sie dies Eck erreicht hatten, hörte der Fußpfad auf, oder war in der Dunkelheit nicht mehr bestimmt zu erkennen. Sie schwankten noch, ob sie wieder umkehren und den eben aufgegebenen Hügelweg (der sie in den Hohen-Vietzer Park geführt haben würde) fortsetzen oder quer über den verschneiten Sturzacker hin, auf die große Straße zuschreiten sollten, als sie zwischen den Bäumen eben dieser Straße verschiedener Gestalten ansichtig wurden. Gleich darauf war es auch, als ob gesprochen, und im nächsten Augenblicke schon, als ob ein heftiger Streit geführt würde. Plattdeutsche Schmäh- und Scheltworte ließen sich unterscheiden, bis es plötzlich über das Feld hin zu ihnen herüber klang: „He wörgt mi; helpt mi, Lüd!"
Lewin, um sich rascher zurecht zu finden, war auf einen großen Feldstein gesprungen, der hier am Waldeck als Grenzzeichen lag, aber schwerlich würde er seinen Zweck erreicht haben, wenn nicht in demselben Augenblick der Mond ans dem Gewölk, das ihn seit einer Stunde verdeckt hatte, hervor getreten wäre. Er sah jetzt alles deutlich.
„Das ist Hoppemnarieken," rief er. Dabei sprang er von dem Steine herunter, riß das Gewehr von der Schulter und schoß den einen Lauf ab, um zu zeigen, daß Hilfe da sei. „Das wird wenigstens eingeschüchtert haben; vorwärts, Tubal!" Damit setzten sich beide Freunde quer über das Feld hin in Trab. Lewin stürzte, raffte sich aber schnell auf und war im nächsten Augenblick wieder an Tubals Seite.
Als sie den halben Weg bis zur Straße hinter sich hatten, konnten sie die Scene deutlich erkennen. Einer von den Strolchen war nach dem Dorf zu als Posten ausgestellt, während der andere mit Hoppemnarieken rang und an ihrem Halse riß und zerrte.
„Halt aus!" rief Lewin, der jetzt einen Vorsprung hatte, aber es bedurfte des Zurufes nicht mehr. Der Straßenräuber ließ von ihr ab und lief, einen weiten Bogen beschreibend, auf dasselbe Wäldchen zu, von dessen entgegengesetztem Eck aus, Tubal und Lewin ihren Lauf über den Sturzacker hin begonnen hatten. Der andere, als Posten aufgestellte verschwand nach der Dorfseite hin.
Als Lewin und dann Tubal den Fahrdamm erreichten, schien ihnen auch Hoppemnarieken verschwunden. Aber gleich darauf fanden sie dieselbe. Sie lag hinter einem aufgeschichteten Steinhaufen, zwischen diesem und einer Pappelweide, deren oberes Geäst voller Krähennester war. Die Kiepe war noch auf ihrem Rücken, der Stock in ihren Händen.
„Ist sie todt?" fragte Tubal.
Lewin, ohne sich vom Gegentheil überzeugt zu haben, schüttelte den Kopf, bückte sich zu ihr nieder und zog ihre beiden Arme ans den leinenen Tragebändern heraus. Als er sie so von der Kiepe frei gemacht und sich überzeugt hatte, daß es nichts als eine Ohnmacht war, hob er sie vom Boden auf und setzte sie mit dem Rücken an den Baum.
„Gib etwas Schnee," rief er Tubal zu, während er selber ihr das enge Tuchmieder öffnete, dessen oberste Haken ohnehin bei dem Ringen und Zerren abgerissen waren. Er sah jetzt deutlich au dem roth und blutrünstig gewordenen Hals und Nacken, daß alle Anstrengungen des Strolchs keinen anderen Zweck gehabt hatten, als ihr die Geldtasche zu entreißen, die sie herkömmlich an einem harten und engen Lederriemen um den Hals trug. Der Riemen hatte aber weder reißen, noch auch sich über den Kopf fortziehen lassen wollen.
In diesem Momente schlug Hoppenmarieken die Augen auf. Ihr erstes war, daß sie nach der Tasche faßte; dann erst musterte sie die Personen, die um sie beschäftigt waren. Ein ihr sonst nicht eigenes gutmüthiges Lächeln, das mit ihrer Häßlichkeit aussöhnen konnte, flog über ihr Gesicht, als sie Lewin, ihren Liebling erkannte, den einzigen Menschen, an dem sie wirklich hing. Sie streichelte und hätschelte ihn; als aber Tubal auch jetzt noch fortfuhr, ihr in einer ihr lästigen Weise die Stirn mit Schnee zu reiben, wurde sie ungeduldig, stieß ihn zurück und wies mit dem Zeigefinger immer heftiger auf die neben ihr stehende Kiepe. Lewin verstand ihr Gebühren