Heft 
(1878) 22
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einigermaßen und begann in der Kiepe umher zu kramen. Als er, gleich in der obersten Lage, eine mit einem Sacktuche um­wickelte Flasche fand, wußte er, was Hoppenmarieken gemeint hatte. Er machte Miene, während er sich über sie bog, etwas von dem Branntwein in seine Hand zu gießen; aber jetzt richtete sich ihr Unmuth selbst gegen diesen, und ihm ärgerlich die Flasche aus der Hand reißend, that sie einen tüchtigen Zug. Sofort hatte sie alle Lebenskräfte wieder; sie drückte den Kork in die Flasche und rief Lewin zu:Nu helpt mi up, Junge­herr." Dann setzte sie die Kiepe auf den Steinhaufen, legte den langen Krummstock daneben und fuhr mit ihren kurzen Armen durch die leinenen Kiepenbänder. So stand sie wieder marschfertig da.

Willst Du nicht mit uns zurück?" fragte Lewin.Wir begleiten Dich."

Sie schüttelte den Kopf und setzte sich nach der entgegen­gesetzten Seite hin in Marsch, im Selbstgespräch allerhand Un­verständliches vor sich hinmurmelud.

Die Freunde sahen ihr nach. Von Zeit zu Zeit blieb sie stehen und drohte mit ihrem Stock nach dem Wäldchen hin­über, in dem der eine der Strolche verschwunden war.

XXIII. In der Amts- und Gerichtsstube.

Berndt von Vitzewitz war, während Tubal und Lewin ihren Besuch in Kirch-Göritz machten, nach Hohen-Vietz zurück­gekehrt. Es lagen anstrengende Tage hinter ihm, zugleich Tage voller Enttäuschungen und Verstimmungen. Der Minister hatte sich mit glatten Worten jeder bindenden Zusage zu ent­ziehen gewußt und auch in anderen einflußreichen Kreisen der Hauptstadt, so weit ihm dieselben zugänglich waren, war er der ihm verhaßten Wendung begegnet:wir müssen abwarten". Nirgends ein Verstehen des Moments. Nur in Guse hatten sich Bamme, Krach und Nutze, mit denen er unmittelbar vor dem Aufbruch noch ein Gespräch herbeizuführen wußte, seinen auf rücksichtsloses Vorgehen gerichteten Plänen geneigt gezeigt. Drosselstein schwankte; aber auf der Fahrt von Guse nach Hohen-Ziesar war er unter dem Einflüsse, den Berndts Bered­samkeit ausübte, anderen Sinnes geworden, und hatte schließlich nicht nur einer allgemeinen Volksbewaffnung, sondern auch, wenn kein regelrechter Krieg erklärt werden sollte, dem Plane eines auf eigene Hand zu führenden Volkskrieges zugestimmt.

Bei seinem Eintreffen in Hohen-Vietz war Berndt angenehm überrascht, Besuch vorzufinden. Er hatte das Bedürfniß, von Zeit zu Zeit seinen ihn mit der Macht einer fixen Idee be­herrschenden Plänen entrissen zu werden, und niemand war dazu geschickter, als Kathinka, die, während sie die politischen Gespräche vermied, zugleich geistvoll genug war, den ent­stehenden Ausfall durch glückliche Impromptus oder durch Pi­kanteren aus den Hof- und Gesellschaftskreisen zu decken. Ihre Erscheinung wirkte mit. Er überließ sich auch diesmal ihrem Geplauder, vergaß über der Schilderung eines Ball­abends bei Excellenz Schuckmann, wo der bairische Gesandte dies und das gesagt oder gethan hatte, momentan alle Pläne und Sorgen, und sah sich der heiteren Zerstreuung dieses Ge­plauders erst wieder entzogen, als das Erscheinen Tubals und Lewins und ihre Erzählung des eben gehabteil Abenteuers seine Gedanken in das alte Geleise zurückdrängten. Er klingelte.

Jeetze," rief er dem eintretenden Diener zu,schicke Krists Willem zum Schulzen. Oder gehe lieber selbst. Ich müßte ihn sprechen. Morgen früh halb elf."

Er wollte nach diesem Zwischenfall, schon um Kathinkas willen das Gespräch in den Ton leichter Unterhaltung zurück- sühren, aber es mißglückte, da auch Tubal und Lewin eine rechte Heiterkeit nicht finden konnten.

Das war abends.

Am anderen Morgen finden wir Berndt in seiner, im ersten Stock gelegenen Amts- und Gerichtsstube, einem großen Eckzimmer, von dem ans, nachdem eine Seitenthür vermauert worden war, nur ein einziger Ausgang auf den Korridor führte. An eben diesem Korridor lagen auch die Fremdenzimmer.

Die Amts- und Gerichtsstnbe zeigte nur weniges, was der Feierlichkeit ihres Namens entsprochen hätte. Sie war eine

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Schreib- und Arbeitsstübe wie andere mehr, in die sich Berndt, namentlich um die Sommerzeit, wenn die beiden großen Fenster von Spalierwein überwachsen waren, gern zurückzog. Es war dann hier luftig und schattig, und in dem dichten Weinlaub zwitscherten die Vögel und sahen in das geräumige Zimmer hinein. Denn geräumig war es geblieben, trotzdem es an Urväterhausrath, an Realen mit Büchern und Akten, an eisen­beschlagenen Truhen und einem altmodischen, bis fast an die Decke reichenden Kachelofen nicht fehlte. Eine der Truhen stand rechts neben der Thür und hatte ein Vorlegeschloß, während aus den Simsen der Reale, in chaotischem Durcheinander, wen­dische Todtenurnen und italienische Alabastervasen, zwei Dra- gonerkaskets und eine in röthlichem Thon ausgeführte Porträt­büste Friedrich des Großen standen. Man sah deutlich, es fehlte der Schönheits- und Ordnungssinn. Es hatte sich zu­sammen gefunden; weiter nichts.

An dem mit allerhand Schriftstücken überhäuften Schreib­tische, dessen eine Schmalseite den Fenstcrpfeiler berührte, saß Berndt, einen großen Bogen Kartenpapier vor sich, den er, mit Hilfe von Lineal und Reisfeder, in Rubriken theilte. Er begann eben die nöthigen Ueberschriften zu machen, als er draußen auf der Besendecke ein sorgliches Putzen, und gleich darauf ein Klopfen an der Thüre hörte, leise genug um artig, und laut genug um nicht ängstlich zu sein.

Herein!" Es war der Erwartete.

Guten Tag, Kniehase. Auf die Minute. Das sitzt uns Alten nun einmal im Blut. Die Jungen sind nicht mehr dazu zu bringen. Nehmen Sie Platz, da den Stuhl am Ofen, und nun rücken Sie heran."

Der so Begrüßte legte Hut und Handschuh auf die große Truhe mit dem Vorlegeschloß, und that im übrigen, wie ihm geheißen.

Ich habe Sie rufen lassen, Kuiehase," nahm Berndt wiederum das Wort,weil etwas geschehen muß. Und Sie sind der Mann, den ich brauche. Aber ich will nicht vor­greifen. Erst das Nächstliegende. Sie haben von dem Ueber- fall gehört, der unserer alten Hexe fast das Leben oder doch die Geldtasche gekostet hätte."

Kniehase nickte.

Fünfhundert Schritt vom Dorf, auf offener Straße, der Abend kaum angebrochen. Und wenn dies allein stände! Aber in einer Woche der dritte Fall. Am heiligen Abend dem Gol- zower Schmidt die Kuh aus dem Stall getrieben, am zweiten Feiertage dem Manschnower Müller die Dielen aufgebrochen, gestern Hoppenmarieken fast gewürgt. Wohin sind wir ge­kommen?"

Es ist Quappendorfer Gesindel, gnädiger Herr. Miekley war am dritten Feiertag in Frankfurt, er sah noch, wie sie Paschken und Pappritzeu einbrachten."

Nicht doch, Kniehase. Das ist es eben, was mich reizt und ärgert, dieses bequeme Zugreifen ohne Sinn und Verstand. Immer dieselben armen Teufel, in fünf von sechs Fällen müssen sie wegen fehlenden Beweises wieder entlassen werden, und das heißt Justiz! Es ist zum Erbarmen. Und das alles aus Be­quemlichkeit; die Gerichtsherren wollen nicht denken, und die Schulzen wollen nichts thun. Von den Bauern spreche ich gar nicht; sie löschen immer erst, wenn das eigene Dach brennt. Das muß aber anders werden, und wir müssen anfangen. Unsere Hohen-Vietzer sind die besten. Kein Kolonistenpack, das über Nacht reich geworden. Nichts für ungut, Kniehase, Sie sind selbst ein Pfälzer."

Kniehase lächelte.Gnädiger Herr haben ganz recht, die alten Wendischen sind besser; störrig, aber zäh und zuverlässig."

Und gescheidt dazu, sonst hätten sie den Neu-Barimmner Pfälzer nicht zum Hohen-Vietzer Schulzen gemacht. Das ist mein alter Satz. Aber nun horchen Sie auf, Kniehase: was Sie Quappendorfer Gesindel nennen, ist fremdes Volk, Franzosen."

Nicht doch, gnädiger Herr. Ich war eben mit bei Pastor Seidentopf heran. Die Franzosen, so meint er, stehn oben an der Grenze, und wenn es hoch kommt, an der Weichsel."

Es ist so. Und doch habe ich recht. Ich spreche nicht von der klein gewordenengroßen Armee", nicht von den aus