Heft 
(1878) 22
Seite
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So sind wir da," ergänzte Berndt, zugleich mit scharfer Betonung hinzusügend:Und wenn ec uns nicht ruft, so sind wir auch da. Und das ist es, Kniehase, weshalb ich Sie habe rufen lassen."

Es geht nicht ohne den König."

Der alte Vitzewitz lächelte.Es geht; die Zeiten wechseln. Es gibt Zeiten des Gehorchen» und Abwartens, und es gibt andere, wo zu thun und zu handeln erste Pflicht ist. Ich liebe den König; er war mir ein gnädiger Herr und ich habe ihm Treue geschworen, aber ich will um der beschworenen Treue willen die natürliche Treue nicht brechen. Und diese gehört der Scholle, auf der ich geboren bin. Der König ist um des Landes willen da. Trennt er sich von ihm, oder läßt er sich von ihm trennen durch Schwachheit oder falschen Rath, so löst er sich von seinem Schwur und entbindet mich des meinen. Es ist ein schnödes Unterfangen, das Wohl und Wehe von Millionen an die Laune, vielleicht an den Wahnsinn eines Einzelnen knüpfen zu wollen; und es ist Gotteslästerung, den Namen des Allmächtigen mit in dieses Pnppenspiel hineinzuziehen. Wir haben drüben gesehen, wohin es führt; zu Blut und Beil. Weg mit dieser Irrlehre, von höfischen Pfaffen groß gezogen; es ist Menschensatzung, die kommt und geht. Aber unsere Liebe zu Land und Heimat, die dauert wie das Land selber."

Kniehase schüttelte den Kopf.Es geht nicht ohne den König," wiederholte er.Der gnädige Herr sind hier geboren und kennen das Bruch und seine Bauern. Aber, mit Permission, ich kenne die Bauern besser. Der König ist ihnen alles. Der König hat ihnen das Bruch eingedeicht, der König hat ihnen die Kirchen gebaut, der König hat ihnen die Gräben gezogen. So wissen sie es von Vater und Großvater her, und so wissen sie es von sich selber. Wenn ich mit Kallies und Kümmritz und den anderen Ganzbauern drüben bei Scharwenka sitze, so istder alte Fritz" das dritte Wort. Er ist ihr Herrgott, und sie sprechen von ihm, als wenn er noch lebte. Nur eins ist dem Bauer noch mehr ans Herz gewachsen: sein Haus und Hof."

Und um Haus und Hof willen, soll er jetzt die Waffe in die Hand nehmen. Es ist nicht das erste Mal in diesem Lande. Als der Schwede jenseit der Elbe in der Altmark hauste, haben sich die Bauern aufgemacht, ohne viel zu fragen. Und das ist es, was sie wieder sollen."

Ich weiß davon," antwortete Kniehase,es waren Dröm- linger Bauern. Aber sie hatten Fahnen, darauf geschrieben stand:

Wir sind Bauern von geringem Gut

Und dienen unserm Kurfürsten und Herrn mit unserm Blut."

Der alte Vitzewitz, der sich seines Schulzen und der Zähig­keit freute, mit der er seine Sache zu führen wußte, gab ihm die Hand und sagte:Eine solche Fahne, Kniehase, wollen wir auch haben, und wir wollen sie hoch in Ehren halten. Aber wenn uns der König diese Fahne verbietet, so müssen wir sie tragen auch ohne seinen Namen, um des Landes willen, und dieser Rechtstitel ist nicht der schlechteste. Denn unser Land ist unsere Erde, die Erde aus der wir selber wurden."

Kniehase schüttelte wieder den Kopf.Die Erde thut es nicht, gnädiger Herr."

Doch, Kniehase," fuhr Berndt fort,die Erde thut es, muß es thun, weil sie unser erstes und letztes ist. Und irdisch gesprochen auch unser bestes. Wir sind Erde, und wir sollen wieder Erde werden, und das ist es, was uns die Erde so iheuer macht. Ein jeder ahnt es von Anfang an, aber das rechte Wissen davon, das kommt uns erst, das will erfahren sein. Ich habe es erfahren. Sie waren dabei, Kniehase, wie wir den Sarg hinauf trugen; Sie wissen schon welchen. Es war Winterzeit, und der Schnee fiel. Als aber der Schnee schmolz und im März der erste Krokus kam, da habe ich die Erde da oben, die mein Glück barg, mit meinen Lippen be­rührt und immer wieder berührt. Und seit dem Tage weiß ich, was eine theure und geliebte Erde ist."

Berndt fuhr bei dieser Erinnerung mit der Hand über Augen und Stirn. Kniehase wußte wohl warum, aber er wollte es nicht wissen, denn er war eine schamhafte Natur, und sah stumm vor sich hin.

Das war im Frühjahr anno sieben," nahm der alte Bitze­witz nach kurzer Pause wieder das Wort,ich sollte es aber noch besser erfahren. Ich hatte noch nicht ausgelernt, was Erde sei. Es war um dieselbe Zeit, Sie entsinnen sich, Kniehase, daß sie den Kyritzer Kämmerer, der so unschuldig war wie Sie und ich, vor eins ihrer feigen und feilen Kriegsgerichte stellten, und ihn aburtheilten und niederschossen. Was sage ichniederschossen?" Hinwürgen war es. Denn so schlecht wie das Urtheil, so schlecht war seine Vollstreckung. Er lag am Boden, der unglückliche tapfere Mann, und konnte nicht sterben. Da sprang ein mitleidiger Westfale vor und schoß ihm ins Herz:aus Liebe zu Dir, Du unschuldig Blut, will ich Dir zum Tode helfen."

Kniehase nickte. Er entsann sich des Hergangs, der damals alles mit Entsetzen erfüllt hatte.

Sehen Sie, Kniehase, von dem Tage an hörte ich immer die fünf Schüsse, und mir war, als fühlte ich sie an meinem eignen Herzen. Ich hatte keinen Schlaf mehr, aber ich wußte, was mich ruhig machen würde, und endlich machte ich mich auf in die Priegnitz. Als ich in der kleinen Stadt ankam, fragte ich nach, und ließ mich hinausführen. Es war vor einem der Thore, eine Pappelallee und ein wüstes Feld da­neben. Da schickte ich das Kind wieder fort, das mich hinaus begleitet hatte, und als ich nun allein war, da warf ich mich nieder an den Hügel, und riß eine Hand voll Erde heraus und hob sie gen Himmel. Und mein Herz war voller Haß und voller Liebe. Da habe ich zum anderen Male erfahren, was Erde ist, Heimaterde. Es muß Blut drin sein. Und überall hier herum ist mit Blut gedüngt worden; bei Kuners­dorf ist eine Stelle, die sie dasrothe Feld" nennen. Und das alles soll preisgegeben werden, weil ein König nicht stark genug ist, sich schwacher Rathgeber zu erwehren? Nein, Knie­hase, mit dem König so lange es geht, ohne ihn, wenn es sein muß."

Berndt schwieg. In diesem Augenblicke klopfte es, und der eintretende Jeetze übergab einen Brief, großes Format mit großem Siegel. Berndt erkannte Turganys Handschrift. Er überflog den Inhalt und las dann laut:Ich bitte Sie, hochverehrter Herr und Freund, in Ihrer Umgegend, vielleicht auch auf dein Forstacker recherchiren zu lassen. Alles deutet darauf hin, daß die Sippschaft, die wir suchen, irgendwo zwischen Hohen-Vietz und Manschnow steckt. Wir haben heute ein zweites Verhör, der Manschnower Müller ist vorgeladen. Aber es wird nur das Resultat des ersten bestätigen, und unsere zwei Gorgaster Sündenböcke werden, wie gewöhnlich, wieder entlassen werden müssen. Ich behalte mir weitere Mittheilung für die nächsten Tage vor. Ihr Turgany."

Berndt lachte.Sie sehen, Kniehase, Transport und Ge- fangenenkost sind abermals vergeudet. Aber Turgany ist auf falscher Fährte. Hier herum sitzen sie nicht. Es wird sich zeigen wo. Wer brachte den Brief, Jeetze?"

Conrector Othegraven."

Ist er noch da?"

Ja, Fräulein Renate hat ihn hereingebeten. Sie sind mit dem anderen gnädigen Fräulein im Wohnzimmer."

Ich lasse den Herrn Conrector bitten."

Jeetze ging, der Schulze wollte folgen.

Nein, Kniehase, Sie bleiben, ich will mir den Sukkurs, den mir ein glücklicher Zufall schickt, nicht entgehen lassen." -

Gleich daraus trat der Conrector ein, von Berndt mit be­sonderer Freundlichkeit empfangen. Einige kurze Begrüßungs­worte wurden gewechselt. Dann fuhr der Hohen-Vietzer Guts­herr fort:Ich will Sie, lieber Othegraven, nicht mit Auf­trägen an Turgany belästigen, wir haben morgen ohnehin Frankfurter Botentag. Aber gegen meinen alten Kniehase hier, möchte ich mich Ihrer versichern. Er will mich im Stich lassen, er kennt in diesem königlichen Lande Preußen kein anderes Losschlagen, als was von oben her gebilligt worden ist. Seidentopf stimmt ihm zu. Auch Sie?"

Nein, und dreimal nein," antwortete Othegraven,und ich schätze mich glücklich, endlich einmal statt vor tauben Ohren vor einem gleichgestimmten Herzen Zeugniß ablegen zu können."