Heft 
(1878) 22
Seite
352
Einzelbild herunterladen

352

Im übrigen hat sich Herr Simson in den verschiedenen Strö­mungen der Zeit ganz behaglich auf der Oberfläche erhalten. Er kennt den Wahlspruch von Fritz Reuters altem Moses (Ut mine Strvmtied):Für die Klugen ist immer gute Zeit. Wenn die Zeit danach ist, läßt man sich einen Demokratenbart wachsen; wenn die Zeit nicht mehr danach ist, läßt man ihn sich wieder abschneiden."

Anlangend den Herrn von Bismarck, so war seine Stellung und Thätigkeit auch in Erfurt noch keine hervorragende. Aller­dings waren damals schon einige Bonmots von ihm im Kurse als wie:Daß man die Ministerstühle im preußischen Ab­geordnetenhause mit Tambours besetzen solle, welche jede Inter­pellation mit einem Wirbel beantworten", unddaß eine Kammer leichter mobil zu machen sei als eine Armee", doch war seine Auffassung damals noch immer in Reminiscenzen seiner aristo­kratischen Vergangenheit und in den politischen Traditionen der heiligen Allianz befangen. Am charakteristischsten in dieser Be­ziehung ist seine Erfurter Rede vom 15. April, in welcher er sich des weiteren über die AusdrückeReichstag" und dergleichen erging. Nach den vorliegendenAktenstücken" sagte er dort: Faktisch besteht übrigens kein Reich mehr seit Kaiser Ludwig, der (wie in der Chronik von Spangeuberg, Fol. 95 zu lesen), um der derzeit sehr überhand genommenen Schinderei der Für­sprecher und Zungendrescher ein Ende zu machen, den letzten Reichstag aufhob. Schaffen daher auch wir nicht nur vorläufig, sondern für immer diese Bezeichnungen ab." Jedenfalls ersieht man, daß von der Stellung des Herrn von Bismarck in Erfurt bis zu seiner heutigen noch ein weiter Weg war.

Unter den übrigen Berühmtheiten möchte ich die Auf­merksamkeit zunächst auf den Herrn von Beckerath lenken, da dieser schon im ersten Bereinigten Landtage eine gewisse Rolle spielte und seitdem sich immer in einer einigermaßen günstigen Beleuchtung zu erhalten gewußt hatte. Seine Autobiographie, daß seine Wiege neben dem Webstuhl seines Vaters gestanden", ist bekannt, er schien daraus für sich die Berechtigung her­zuleiten, seinerseits mit an dem Webstuhl der Geschichte zu sitzen. Leider war die Quelle, aus welcher er seinen Aufzug und Ein­schlag bezog, gerade nicht immer die beste, auch verleitete ihn eine gewisse schwärmerische Neigung, von Zeit zu Zeit im poli­tischen Prophetenmautel anfzutreten. Seine Berühmtheit ver­blich in demselben Maße, als die Anschauungen, welche er ver­trat, selbst abschmeckig wurden, so daß sein Verschwinden von der politischen Bühne eigentlich nur von denen bemerkt wurde, die sich an dem Schaukeln seiner Wiege ergötzt hatten.

Entschieden bedeutender und energischer war der Buch­händler Bassermann, welchen ich als den klassischen Vertreter des damaligen süddeutschen Liberalismus bezeichnen möchte. Un­streitig einer der ursprünglichen Faiseurs der Märzbewegung, war er auch eine längere Zeit hindurch einer ihrer rührigsten Förderer und beharrte in dieser seiner politischen Verlags- thätigkeit noch, selbst als die Krebse der Revolution schon massenhaft zu ihm zurückkehrten. Stutzig wurde er erst, als er mit eigenen Augen sah, wie die Ideale seiner Phantasie in einzelnen Exemplaren der minder glücklich situicten Masse der Bevölkerung sich ausuahmen und wie in gewissen Kreisen doch im ganzen noch mehr Spiritus als Patriotismus zu finden war. Von da an bevölkerte seine stets fruchtbare Phantasie das deutsche Vaterland mit den nach ihm benannten Gestalten in dem Maße, daß er das innere Gleichgewicht völlig verlor und von der höchsten Zuversicht zur tiefsten Verzweiflung Hinab­stieg, so daß ihm sein eigenes Leben als unerträglich erschien. In Erfurt hatte er sich besonders Stahl als Angriffsobjekt aus­ersehen, doch erging es ihm hier zuweilen wie später einmal dem hohcnzollernschen Abgeordneten Herrn Mohr im preußischen Abgeordnetenhause. Dieser hatte auch eine sehr sorgfältig aus­gearbeitete Rede bei sich, versäumte aber, als er sie sich noch einmal überhörte, den richtigen Augenblick des Einsetzens, in Folge dessen ihm seitens des Präsidenten das Wort verweigert wurde. Als er betrübt auf seinen Platz zurückkehrte, trat Herr von Röder an ihn heran, legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte mit vernehmlicher Stimme nach Fiesco:Herr Mohr, Sie haben Ihre Schuldigkeit gethan, Sie können gehen." Herr

Bassermann indes war zäher und wußte seine parlamentarischen Ladenhüter immer noch, wenn auch nicht zum Subskriptions- ! preise, zu verwerthen.

Als Staatsrechtslehrer fungirte in Erfurt Herr Bester ! und dürfte die Zeichnung seines Bildes ziemlich erschöpft sein, ! wenn ich sage, daß er dort nicht interessanter war, als ge­wöhnlich. Sein Sekundant war der Graf Schwerin, welcher hier hauptsächlich als Anwalt der reinen Lehre gegen den falschen Konstitutionalismus auftrat und sich als Erfinder des Kunst­werks anpries, eine monarchische Regierungsform ohne Monarchen herzustellen. Dabei würde man indes dem Grafen Schwerin, soweit ich dessen Persönlichkeit zu ergründen vermocht habe, entschieden Unrecht thun, wollte mau ihm selbst monarchische Gesinnungen absprecheu; im Gegentheil war ihm das preußische Königthum kraft seiner Familientraditionen etwas so Selbstver- i stündliches, daß er sich um deswillen der gefährlichen Täuschung hingab, als ob dasselbe durch alle diese Kleinigkeiten überhaupt ! gar nicht berührt werden könne. Die Illusion, in der er sich i bewegte, war deshalb auch weniger ein Mangel seines patrio- tischen Herzens als seines politischen Verstandes, dessen Klarheit ^ und Tragweite ich niemals zu überschätzen vermochte. !

An den Grafen Schwerin schließt sich am besten Herr i v. Anerswald, der in Erfurt als Präsident des Staatenhauses ! fungirte und der dort, wenn auch etwas abgekühlt, die alte Firma aufrecht zu erhalten bemüht war. Leider mußte er schon damals alsAuerswald in Liquidation" bezeichnet werden, eine Liquidation, welche so lange fortgesetzt wurde, bis sie durch den Akkord unter der neuen Aera ihren endlichen Abschluß erreichte. Seine Haltung als Präsident war nicht zu bemängeln, wenn­gleich er den Aplomb des Herrn Simson nicht erreichte. Frei- !

lich war seine Herde auch weitaus leichter zu regieren, als die ^

zum Theil recht widerspenstigen Böcke, welche unter dem Stabe > des letzteren weideten.

Von den Mitgliedern des Staatenhauses nenne ich zunächst den Herrn v. Kleist-Retzow, dessen Charakteristik ich bereits ! früher im allgemeinen gegeben habe und dessen gemüthliche Eigenschaft ich am besten dadurch bezeichnen zu können glaube, daß unter seinen näheren Bekannten die Ueberzeugung begrün­det war, man könne ihm keinen größeren Gefallen erzeigen, als ! wenn mau eine Gefälligkeit von ihm verlange. Daß diese Eigenschaft keine Schwäche war, hat am besten die durch keine Rücksicht beengte Konsequenz seines politischen und kirchlichen Auftretens erhärtet. Insbesondere war seine kirchliche Stellung ihm jederzeit so sehr Herzenssache, daß er nicht selten den Staatsmann mit dem Prediger in der Wüste verwechselte und kirchliche Postulats verfolgte, ohne vorher das Material und die thatsächlichen Zustände, mit welchen der praktische Staats­mann zu rechnen hat, genügend zu Prüfen. Sein damaliges Verhältnis^ zu Bismarck war das eines intimen Freundes und wurde auch in Erfurt noch durch keinen Mißklang getrübt.

Einer der vielredenden, wenn auch nicht beredtesten Mit­glieder des Staatenhauses war der Graf Rittberg, welcher auch der jüngeren Generation noch in solcher Eigenschaft in der Er­innerung sein wird. Sein Auftreten hatte mit dem des Prä­sidenten v. Gerlach insofern eine gewisse Aehnlichkeit, als er dessenaber dennoch" im entgegengesetzten Sinne anzuwen­den pflegte und beispielsweise auch in Erfurt gewöhnlich dahin argumentirte: wie man sich allerdings nicht verhehlen könne, daß der vorgelegte Versassungsentwnrf mancher Verbesserungen bedürfe, daß er aber dennoch in Anbetracht der Situation un­verändert angenommen werden müsse. Seine Beredsamkeit streifte hart an die eines Frühstücksredners und seine näheren politischen Freunde waren, so oft er auftrat, stets in der Be- sorgniß, daß er irgend etwas machen würde, worauf sie nicht vorbereitet waren.

Dem Abgeordneten Baumstark bin ich in Erfurt selbst per­sönlich nicht näher getreten, doch hatte ich ihn kennen gelernt, als er noch einer der Führer der Rechten in der ersten preußi­schen Nationalversammlung war. Ein wohlgesinnter Mann, aber mit zu viel bureaukratischer Resonanz, schwächte er den Eindruck seines Auftretens dadurch ab, daß er seine Stellung als Direktor der landwirthschaftlichen Lehranstalt in Eldena