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auch auf die politische Thierwelt übertrug und zu sehr von oben herab perorirte. In Erfurt war' es besonders das Wahlgesetz, welches ihm patriotische Beängstigungen verursachte, und er bewegte sich dabei gleich so vielen seiner Gesinnungsgenossen in dem eigentümlichen Widerspruch, alle Menschen für- gleichberechtigt erklären und doch gleichzeitig einem großem Theil derselben eines der werthvollsten politischen Rechte, nämlich das Wahlrecht, entziehen oder doch nur eine Quote desselben zugestehen zu wollen. Freilich war man zu jener Zeit einigermaßen an derartige Widersprüche gewöhnt, wie denn ein Dessauer gleichzeitig Preßfreiheit und Censur und die Badenser die Republik und ihren Großherzog verlangten.
Eine eigentümliche politische Figur war der schlesische Graf Dyhrn, ein kleiner jovialer kugelrunder Herr, der sich um deswillen auch eines sehr bezeichnenden Spitznamens erfreute. Sehr freisinnig und dadurch eine Art von Merkwürdigkeit unter seinen Standesgenossen, hatte er die üble Angewohnheit angenommen, sich für geistreicher und auch politisch gewichtvoller zu halten, als er bei Lichte besehen eigentlich war. Sonst war er niemals ein ernsthafter Störenfried, vielmehr ein durchaus zutreffender Beleg zu dem bekannten Aussprache von Julius Cäsar: „Man lasse von wohlbeleibten Leuten mich umgeben, mit glatten Köpfen und die nachts gut schlafen."
Weniger hervortretend, obschon er sich später zum Fraktionschef entpuppte, war der Abgeordnete Fleck. Bemerkenswerth durch die Gabe, stets die richtige Mitte einzuhalten und die Bestrebungen der Rechten, welcher er persönlich zugethan war, in ein freisinniges Gewand zu kleiden, wirkte er gewissermaßen als verführerisches Beispiel für alle Mitglieder der Linken, welche nicht in der Wolle gefärbt waren. Später associirte er sich mit dem Präsidenten Büchtemann zur Bildung einer Fraktion, welche im Preußischen Abgeordnetenhause unter der Uhr saß, den Spitznamen der „befleckte Büchtemann" führte und von der man sagte, daß „die Herren stets wüßten, was die Uhr- geschlagen habe".
Bemerkenswerth weniger durch ihre parlamentarische Thä- tigkeit, als durch ihre Stellung und Wirksamkeit außerhalb des Parlaments waren der Prinz Hohenlohe und der Herr v. Röder. Von diesen war Herr v. Röder mit einer besonderen Gabe des Witzes ausgestattet, kraft deren er ein gewisses, selbst von politischen Gegnern anerkanntes Privilegium besaß, den Leuten Wahrheiten zu sagen, die aus einem anderen Munde als Beleidigungen ausgenommen worden wären. Freilich hatte derselbe neben seinem Witz einen feinen Takt, der ihn stets die rechte Grenze einhalten ließ, so daß es schwer gewesen sein würde, ihm unhöflich zu antworten. Ich habe wiederholt Gelegenheit gehabt zu hören, daß derselbe mit seinen witzigen Bemerkungen eben sowohl nach oben als nach unten griff. Wie seine Unterschrift in dem Stahlschen Album ergibt, erhob er niemals den Anspruch, ein constitutioneller Staatsbürger zu sein. Sein Faible war die Hofluft, welche er allerdings mit politischem Ozon zu erfüllen wußte.
Der Prinz Hohenlohe dagegen war in seiner ganzen Haltung und seinem Auftreten ein Zrauä 86>Ausar, welcher jedoch keineswegs die Steifheit liebte, sondern im Gegentheil einen ganz besonderen Geschmack an guten Geschichten und pikanten Anekdoten fand. Derselbe trieb Politik, obschon er es nach dem bekannten Kunstausdrucke „nicht nöthig hatte", weder persönlich noch sachlich, und wenn er sich später sogar — wie be
kannt — dazu herbeiließ, wenn auch nur kurze Zeit, als Ministerpräsident zu amtiren, ein Amt, das sonst natürlich in keiner Weise dazu angethan war seinen Ehrgeiz zu reizen, so that er dies nur, weil die Traditionen seiner Familie es mit sich brachten, in kritischen Zeiten die Person für das preußische Königthum einzusetzen.
Eine eigenthümliche, nicht ganz durchsichtige Stellung nahmen die katholischen Abgeordneten ein, doch traten von diesen nur zwei, nämlich die Herren Reich ensperger und Buß, mehr in den Vordergrund. Des letzteren habe ich bereits bei einer früheren Gelegenheit gedacht, indem ich darauf aufmerksam machte, daß er das Erfurter Parlament mit einer souveränen Geringschätzung behandelt und seinen Verhandlungen und Beschlüssen jeden Einfluß aus die reale Gestaltung der Dinge von Hause aus abgesprochen habe. Ein solches Auftreten erforderte damals immerhin noch ein gewisses Maß von moralischem Mnth und politischem Scharfblick, wenngleich ich dabei den Vorbehalt mache, daß Herr Buß wahrscheinlich sowohl von Oesterreich als auch von anderer Seite gut informirt war.
Weitaus vorsichtiger und reservirter trat Herr Reichens- Perg er auf, indem er sich sogar gegen seine sonstige Gewohnheit der Rechten in fast demonstrativer Weise näherte und nur insoweit seinen besonderen Weg ging, als die gemeinschaftliche Opposition gegen die Mängel der vorgelegten Verfassungsurkunde seinen spezifischen Zwecken nicht volle Genüge that. Sein wesentlichster Zweck war wohl die Erhaltung Oesterreichs im Bunde, weshalb er sich mit ausdrücklicher Verwahrung gegen ^ den Vorwurf der Preußenfeindlichkeit sehr entschieden gegen den z! engeren Bund aussprach. Ueberraschender Weise behauptete er dabei aus demselben Standpunkte zu stehen wie der König von Preußen. Mit einem nicht gewöhnlichen Maße von Dialektik ausgestattet und als rheinischer Jurist allgemein anerkannt, war ihm doch ans dem politischen Gebiete eine gewisse Rabulisterei nicht ganz fremd, wie man auch wissen wollte, daß bei ihm der „Ultramontanismus" mehr im Kopf als im Herzen stecke.
Von den Reichskommissären wären neben dem Herrn v. Radowitz vielleicht noch der frühere sächsische Minister v. Car- lowitz und der braunschweigische Dr. Liebe zu nennen, doch habe ich mit beiden persönlich nur wenig Berührungen gehabt, so daß ich mich auf einige allgemeine Bemerkungen beschränken muß.
Seine Wahl zum Reichstagskommissarius verdankt Herr v. Carlo Witz wohl hauptsächlich dem Umstande, daß er nicht ganz freiwillig aus dem sächsischen Staatsdienste geschieden war, und diese seine Qualität als mißliebiger Minister war auch wohl seine hervorragendste Eigenschaft geblieben. Dagegen merkte man es dem Herrn Dr. Liebe damals schon an, was später aus ihm werden würde, nämlich einer der hervorragendsten Juristen und eines der leistungsfähigsten und arbeitsamsten Bundesrathsmitglieder des neuen deutschen Reiches. Allerdings hatte er, wenn ich mich recht entsinne, ganz zu Anfang der deutschen Bewegung einen kleinen Hechtsatz nach links gemacht, doch war sein Verstand eben zu scharf und zu kühl, um nicht alsbald den Jrrthum seines Weges zu erkennen.
Zum Schluß nur noch die Bemerkung, daß die weitere Entwickelung der deutschen Frage demnächst in jüngere Hände überging und daß es nach einer drastischen Bemerkung aus bekanntem Munde das Jahr 1815 ist, welches unserer Aera die berühmten Männer geliefert hat.
Eine unßertvosse Jastriacht.
Nachdruck verboten. Ges. v. in/VI. 70.
Von Fron? W. Freiherr von Äitfurth.
Als ich in den Jahren 1820 — 23 in Marburg studirte, lebte dort auch eine bejahrte Tante von mir, eine Stiefschwester meines Vaters.
Sie war eine sehr geachtete, gebildete Dame, recht belesen und von scharfem Verstand. Sie zeichnete außergewöhnlich gut, sauber und rein, und entwarf allerliebste Bilder voll Phantasie und Humor, um die sie mancher Künstler hätte beneiden können. Auch war- sie eine große Freundin der Musik, und man sagte,
XIV. Jahrgang. 22. L*
daß sie in ihrer Rosenzeit eine gute Sängerin gewesen sei. Noch jetzt spielte sie einige Lieder und Arien aus jener schönen Zeit auswendig ohne Tadel und Makel auf ihrem alten Klavier, für dessen reinste Stimmung sie stets besorgt war.
In ökonomischer Beziehung galt sie für sehr günstig gestellt, dabei aber auch für höchst sparsam und genau rechnend, was indessen nicht verhinderte, daß sie in der Stille an Armen, Kranken und sonst Hilfsbedürftigen viel Gutes that.