Heft 
(1878) 22
Seite
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Dieses alles zog ihr die Achtung und Verehrung von hoch und niedrig zu, und man übersah deshalb ihre vielen und großen Wunderlichkeiten und Eigenheiten, mit denen frei- lich nicht leicht anszukommen war. Dienstboten hielten es gar nicht bei ihr aus, obschon sie es sonst in allem sehr gut hatten. Nur der alten Friederike war es gelungen, nach Verzicht aus jeglichen Eigenwillen und unter vollständigem Eingehen schon aus den leisesten Wink ihrer Gebieterin, sich bis zu deren Lebensende in ungeschmälerter Gunst zu behaupten.

Es mußte in dem Haushalt alles aus die Minute nach der Uhr vorgenommen, die peinlichste Ordnung und Sauberkeit eingehalten, und die tiefste Stille und Ruhe beobachtet wer­den; kein unnützes Wort von Untergebenen ward geduldet.

Diese, wie noch viel andere Eigenheiten hatten ihr denn auch mancherlei Verdrießlichkeiten mit den Hauseigentümern, bei denen sie wohnte, zugezogen, so daß sie sich zuletzt ein eignes Haus kaufte, dicht unter dem hohen Schlosse, auf welchem ihr Vater einst als Gouverneur der Stadt gethront hatte.

Nach dem Tode meines Vaters, der stets mit ihr in brieflichem Verkehr gestanden hatte, war jahrelang wenig Nach­richt mehr zu uns Kindern gekommen; wir wußten nur, daß sie noch lebte und zwar in guten Verhältnissen.

Ueber ihre Wunderlichkeiten hatte sich der Vater stets nur zurückhaltend geäußert, da er die Stiefschwester sehr achtete, und als friedliebender Mann allem aus dem Wege ging, was irgendwie Differenzen unter Verwandten herbeiführen konnte.

Als ich nun nach Marburg kam, war einer meiner ersten Gänge zu dieser Taute.

Ich hatte mich in aller Ehrfurcht brieflich bei ihr ange­meldet und mich erkundigt, wann ich die Ehre haben könne, der Frau Tante gehorsamst aufzuwarten.

Als Antwort erhielt ich die folgenden mit fester Hand geschriebenen Zeilen:

Mosjöh Neffe, morgen früh präcise elf Uhr dreiviertel. Hört Er's!"

Diese Zeilen gaben mir schon einen kleinen Vorgeschmack von dem Empfange, der meiner harrte. Anderen Tages kurz vor dreiviertel auf zwölf stand ich vor ihrem Hause, um mit dem Schlage der nahen Thurmuhr anzuschellen.

Kaum war dieses geschehen, als auch schon die Thür ge­öffnet und ich von der alten Dienerin Friederike zu der Ge­bieterin Zimmer geführt wurde.

Da saß auf ihrem altmodischen Sopha eine zwar bejahrte,

! sich jedoch jugendlich gradhaltende hochgewachsene Dame, von ! stolzen strengen Zügen mit scharfblickenden durchdringenden ! Augen, in einem scharlachrothen Sammetkleide, mit breitem Gold- ^ säum und gleichem Gürtel; auf dem Haupt eine goldene Krone, ein funkelndes Brillantkollier um den Hals, einen großen silbernen ! reichverzierten Fächer in der Rechten, und überwallt von kost- ! barem Spitzenschleier.

Verwundert über diese sonderbare Erscheinung, wähnte ich mich in der Wohnung geirrt zu haben und war im Begriff, eine Entschuldigung vorzubringen, als sie anhub:

Daß Er's weiß, Neffe, seinetwegen habe ich mich nicht so ajustirt. Es ist heute der Jahrestag, da ich vor 52 Jahren vor seiner Hochfürstlichen Durchlaucht allhier in der Rolle der Königin Semiramis zu agiren die hohe Ehre hatte; seither pflege ich alljährlich diesen Tag festlich in demselben Ajüstement zu begehen, welchen ich dazumal getragen Hab'. Nun weiß Er's, nehm Er dort Platz!"

Damit deutete sie auf einen Stuhl vor dem Sophatisch, ihr gegenüber.

Hab' schon gehört, Er soll ja recht artige Verse machen und prächtig singen können. Das ist ja ganz charmant! Kann Er denn auch Mühle spielen, Mosjöh?"

Ich hatte Mühe mich zu sammeln, so komisch klang mir diese letzte Frage. Fast mechanisch antwortete ich:Gnädigste Frau Tante, das Mühlfpiel Hab' ich früher sehr kultivirt, in letzter Zeit aber mehr Dame und Schach, auch etwas Wolf und Schafe, wobei ich mich jedoch als Wolf stärker fühle, denn Schafe."

Gut, gut!" erwiderte sie.

Wie viel Kartenspiele kann Er denn?"

Kein einziges, gnädigste Frau Tante! Der Vater duldete keiue Karten; auch waren sie von 1807 1813, wo wir unter französischer Herrschaft standen, durch den Thalerstempel, den jedes Kartenspiel haben mußte, so theuer, daß der Vater kein Geld dafür ausgeben wollte."

Daran hat er sehr wohlgethan; Kartenspiel ist Teusels- spiel! Doch jeder nach seinem Geschmack. Jetzt setz' Er sich dort an das Klavier und sing Er mir ein rechtschaffenes Lied ohne allen Schnick und Schnack darin!"

Ich that sofort, was sie wünschte, denn ich sah wohl, daß unverzüglicher Gehorsam als sicherster Weg zu ihrem Wohl­wollen führe. Das Lied ist längst meinem Gedächtniß entschwun­den, ich nahm mich aber recht zusammen und führte dasselbe, wie ich glaubte, gut durch.

Brav gemacht!" sprach sie, als ich geendet.

Von wem ist denn das Lied, das Er gesungen hat?"

Gnädigste Frau Tante, ich pfusche selbst bisweilen in das Komponiren. Es soll mich höchlich erfreuen, wenn es Ihnen nicht ganz mißfallen hat."

Was da von Mißfallen! Es hat mir recht Wohlgefallen. Der Mosjöh Neffe ist ja ein Tausendsassa! Und jetzt, Fränz- chen, so heißest Du ja, wie ich glaube, bist Du mir willkom­men, denn Du kannst doch etwas. Heut Mittag bleibst Du bei mir, Friederike wird gleich zu Tische rufen, und nachher will ich sehen, ob Du auch wacker Mühle spielen kannst, das muß ein junger Kavalier verstehen."

Friederike meldete jetzt, daß servirt sei; ich durfte meine gnädigste Frau Tante ins Speisezimmer führen, ihr den Stuhl rücken und wohl zu speisen wünschen, was sie sehr gut aufnahm.

Ich bemühte mich nun auch bei Tische, wo so leicht eine Ungeschicktheit begangen werden kann, ihre gute Laune nicht zu stören, und trank mäßig und bescheiden, aber ohne mich irgend nöthigen zu lassen; stieß kein Salzfaß um, verschüttete keine Sauee und keinen Rothwein auf das blendend weiße, feine Damasttischtuch, worin als Muster Prinz Eugenius eiu- gewebt stand, als er vor der Festung Rüssel zur Sonne und zum Mond die Worte Josuas vor Israel sprach:Lot contra Oabacm ns rnovsaris, ot tnna contra valtorn ^.jalon!" (Josua 10, 12.) Kurz ich mied alles, was den Damen des Hauses so leicht Verdruß bei Tisch bereiten kann. Selbst dem neben mir sitzenden, mich beständig anstiereuden, dicken hummeräugigen Mopse, der edlen Zemira, strich ich zuweilen das schon ergrauende Haupt, was jedesmal mit einem leisen Wedeln des Schwanzes erwidert wurde. Dies mein Benehmen schien der Frau Tante Herz immer mehr zu gewinnen.

Der gute Wein und ihr stets freundlicher sich gestaltendes Wesen ermuthigte mich sogar zuletzt, statt wie bisher nur ihre Fragen zu beantworten, selbst einige an sie zu stellen.

So wagte ich es denn, mich nach den nähern Umständen bei Darstellung jener Oper Semiramis zu erkundigen.

Hör, ich liebe dergleichen Fragen nicht; doch will ich Dir ausnahmsweise heut Deinen Wunsch erfüllen. Du weißt, daß mein Vater Generallieutenant und Gouverneur hier in Marburg war. Nun kam alljährlich unser allergnädigster Landesherr zur Inspektion der Truppen hierher, und da gab es Festlichkeiten aller Art. So war auch einstmal eine ganze Oper Semiramis von uns einstudirt, worin ich die Titelrolle übernehmen mußte, deun ich hatte eine frischfreie Stimme, war gar nicht so verzagt, wie so viele, sondern ging herzhaft ins Zeug, wie es einer Generalstochter zukommt. Die Rolle des Ninus, als meines königlichen Herrn Gemahls in der Oper, führte ein junger Offizier durch, der ein trefflicher Sänger und Darsteller war, so daß ich große Mühe hatte, nur einiger­maßen Schritt zu halten. Die Aufführung selbst fiel denn auch sehr gut aus, und Seine Durchlaucht äußerten sich höchst zu­frieden; belobten mich persönlich wie bei meinem Vater, und ließen mir später dies schöne Brillantcollier übergeben, welches ich hier nebst vollständigem Anzuge von damals trage. Eben so befriedigt sprachen sich Seine Durchlaucht über die Leistung des jungen Offiziers aus und ernannten ihn sofort zum Haupt­mann, was eine seltene Auszeichnung war."