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Zeit für Lewin sich zu rüsten. Und er that es; aber nicht in bester Laune. Immer wieder bestürmte ihn die seit Stunden vergebens zurückgedrängte Frage, was Kathinka mit ihrer zweiten so räthselvoll zugespitzten Einladung eigentlich bezweckt habe, und immer wieder lautete die Antwort: „Kokettes Spiel! Sie bedarf meiner; ich bin ihr werthlos und werthvoll zugleich; sie hält mich wie den Vogel am Faden, und gefällt sich darin, den Faden nicht ans der Hand zu lassen." Das war der Grundton, in dem nur leise Hoffnungsstimmen mitklangen.
Es schlug eben sieben vom Marien- und gleich darauf auch vom Nikolaithurm, als unser Freund in das Ladalinskische Haus eintrat.
Die Gesellschaft war schon versammelt, und zwar in dem uns bekannten kleinen Damenzimmer, das heute, wo statt der rothdämmerigen Ampel eine große und Helle Astrallampe darin brannte, um vieles heiterer wirkte als an jenem Ballabend, der nur zwei große Momente gehabt hatte: die Mazurka und die Nachricht von der Kapitulation.
Kathinka, trotzdem sie beim Eintreten Lewins in einer intimen Flüsterunterhaltung mit der schönen Matuschka war, begrüßte den wie gewöhnlich um eine Stunde zu spät Kommenden mit eben so viel Unbefangenheit wie Freundlichkeit, und während dieser einen Stuhl nahm, um in den dem Sopha gegenüber aus Tubal, Bninski, Jürgaß und dem alten Lada- linski gebildeten Halbkreis einzurücken, unterließ sie nicht, über das „Zuspätkommen" der Poeten zu spötteln, das übrigens nicht Wunder nehmen könne, da die Unpünktlichkeit die Schwester der „Vergeßlichkeit" sei. Dem letzteren Wort gab sie nicht nur einen verstärkten Ton, sondern auch einen besonder» Ver- traulichkeitsansdrnck, als ob sie sich dadurch noch einmal zu dem ganzen Inhalt ihres Vvrmittagsbillets, das mit einem leisen Vorwurf über seine „Vergeßlichkeiten" geschlossen hatte, habe bekennen wollen. Er seinerseits unterließ jede Antwort darauf, entweder weil ihn das Spiel verdroß, oder weil er in eben diesem Augenblicke vom Sopha her wieder die beiden großen Krhstallgläser der alten, auch heute wie herkömmlich neben dem Fräulein von Bischofswerder sitzenden Oberhofmeisterin-Excellenz scharf auf sich gerichtet fühlte, doppelt scharf und böse, weil er sie durch sein verspätetes Eintreffen in einem begonnenen Satze unterbrochen hatte. Voll Verlangen sie, wenn irgend möglich, wieder zu versöhnen, erhob er sich von seinem Stuhl, auf dem er kaum erst Platz genommen hatte, um in etwas unklaren Worten eine Entschuldigung zu versuchen; die alte Excellenz schlug aber mit unverkennbar absichtlichem Geräusch ihre Lorgnette zusammen und lächelte hochmüthig, wie um auszudrücken, daß Schweigen und Dulden um vieles schicklicher gewesen sein würde, und fuhr dann, an der Bischofswerder rücksichtslos vorbeisprecheud, in ihren Mitteilungen mit schnarrender Stimme fort: „Ich wiederhole Ihnen, lieber Ladalinski, daß Seine Majestät morgen mit dem frühesten Potsdam verlassen werden. Das nächste Nachtquartier wird in Beeskow genommen, einer kleinen Stadt, die besser ist als ihr Ruf; sie hat ein ehemalig bischöfliches Schloß. Die Garden begleiten den König. Tippelskirch hat an Kessels Stelle das Kommando übernommen. Kessel bleibt in Potsdam. Se. Majestät gedenken am 26. in Breslau einzutreffen."
„Ich empfing eben eine gleichlautende Nachricht von meinem Vater aus Hohen-Vitz," bemerkte der in jugendlicher Unüberlegtheit abermals fehlgreifende Lewin, und mußte sich — da Blicke wirkungslos bleiben zu sollen schienen — nunmehr eine direkte Reprimande von Seiten der alten Gräfin-Excellenz gefallen lassen. — „Es ist nicht Art der preußischen Oberhofmeisterin," erwiderte diese spitz, „Nachrichten über Se. Majestät den König in Umlauf zu setzen, die noch der Bestätigung bedürfen. Es freut mich indessen, Ihren Herrn Vater so gut unterrichtet zu sehen. Ich bitte, mich ihm bei nächster Gelegenheit in Erin-
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nerung bringen zu wollen. Seine Schwiegermutter, die Generalin von Dumoulin, war eine Jugendfreundin von mir."
Lewin, der nicht wußte, was er aus diesen Worten machen sollte, in denen sich neben aller Ueberhebung doch auch wieder ein leiser Anflug von Theilnahme aussprach, hielt es für das gerathenste, alles Unliebsame darin zu überhören, und verbeugte sich artig gegen die alte Gräfin, während diese mit Wichtigkeit sortfuhr:
„Angereau hat strikten Befehl, sich in bestimmt vorgezeichneten Fällen, namentlich im Fall eines Aufstandes, der Person des Königs zu bemächtigen, und Seine Majestät, die seit länger als drei Wochen von diesem strikten Befehle weiß, würde sich der drohenden Gefahr schon früher entzogen haben, wenn nicht der Wunsch vorgeherrscht hätte, die bevorstehende Konfirmation des Kronprinzen, die nun gestern, wie wir alle wissen, wirklich stattgefunden hat, abzuwarten. Uebrigens haben Seine königliche Hoheit, was Ihnen, lieber Geheimrath, trotz Ihrer Anwesenheit bei der Feier entgangen sein dürfte, zur Erinnerung an diesen hochwichtigen Tag, aus den Händen Sr. Majestät selbst einen kostbaren Ring erhalten."
,,8a,iis ckcmto," bemerkte Bninski.
„8an8 äcmto?^ wiederholte fragend und gedehnt die alte Oberhofmeisterin, der der spöttische Ton in der hingeworfenen Bemerkung des Grafen nicht entgangen war. „Warum saus ckcmto, Graf Bninski?"
„Weil der Ring," erwiderte dieser, „das Zeichen ewiger und unverbrüchlicher Treue ist, und eine Feier in diesem Lande, am wenigsten eine kirchliche, ohne dieses Zeichen nicht wohl gedacht werden kann."
Der Geheimrath rückte verlegen hin und her. Es war ihm im höchsten Maße peinlich, in seinem Hanse, noch dazu in Gegenwart zweier Damen vom Hofe Worte fallen zu hören, deren ironische Bedeutung trotz des Ernstes, mit dem sie vorgetragen wurden, niemandem entgehen konnte. Er sah deshalb zu dem Grafen hinüber, ersichtlich bemüht, diesem, wenn nicht den Wunsch eines Wechsels des Gespräches, so doch wenigstens des Tones auszndrücken. Bninski aber ignorirte diese Bemühungen, und fuhr in demselben Tone fort: „Es zählt dies zu den Eigenthümlichkeiten deutscher Nation. Immer ein feierliches in Eid- und Pflichtnehmen, dazu daun ein entsprechendes Symbol, und ich darf sagen, ich würde überrascht sein, wenn dem kostbaren Ringe, den Se. königliche Hoheit aus den Händen des Königs seines Vaters empfangen hat, nicht noch eine direkte Aufforderung zum Trenehalten, entweder in Form einer eingravirten Devise oder eines Bibelspruchs beigegeben worden wäre. Etwa: „Sei getreu bis in den Tod", oder dem ähnliches."
Die alte Gräfin preßte die Lippen zusammen. Es war ersichtlich, daß sie schwankte, in welchem Tone sie repliziren solle; aber sich rasch für eine versöhnliche Haltung entscheidend, sagte sie mit erzwungener guter Laune: „Ich sehe, Graf, daß Sie von dem Ringe wissen. Wenn durch Inspiration, so beglückwünsche ich Sie und uns. Der innere Rand trägt allerdings die Umschrift: „Offenbarung Johannis 2. V. 10." In diesem Punkte haben Sie Recht behalten; aber nicht darin, daß dieser Konfirmationsring eine Hofi oder Landessitte sei. Im Gegentheil; es ist der erste Fall der Art."
„So wird es Sitte werden. Gute Beispiele pflegen einen fruchtbaren Boden in dem loyalen Sinn des Volkes zu finden."
Sehr wahrscheinlich, daß die fortgesetzten Sarkasmen Bninskis doch schließlich alle friedlichen Entschlüsse der Oberhofmeisterin, die fast eben so heftig wie hochfahrend war, in ihr Gegentheil verkehrt hätten, wenn nicht in diesem Augenblicke Kathinka ihr bis dahin mit der schönen Matuschka geführtes Gespräch abgebrochen und zwei Tabouretts, für sich und ihren Plauder-Partner, in den Halbkreis, zwischen Lewin und Bninski, hineingeschoben hätte. (Fortsetzung folgt.)
DogeMöen im Sumpfe.
Von W. Llstrnemanil.
Hast Du, lieber Leser, schon einmal einen Sumpf betreten? Es ist wirklich unterhaltend und interessant dort. Da
vor freilich, daß Du bei Nacht vom gelangest, möge Dich Gott bewahren,
Nachdruck verboten. Ges. v. ii.,>^. 70.
Wege abkommend dorthin denn um diese Zeit ist es