Heft 
(1878) 39
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drang schriftlich und mündlich in sie, und mit besonderem Nachdruck bat der Bischof Cremenz von Ermeland, der sie als Mädchen in Coblenz gekannt hatte, um ihre Unterwerfung unter die Autorität der Kirche. Tief erschütterte sie die Droh­ung, bei dauerndem Widerstand werde man ihr das Ordens- kleid entziehen. Am 28. Januar, einem Sonntag, entschlief die Vielgeprüfte unter den Worten:

Herr Jesu, dir leb' ich,

Herr Jesu, dir sterb' ich,"

undkomm Herr Jesu " sanft und ruhig an einer Lungen- lähmung. In Weißenthnrm, ans der anderen Rheinseite, wollte sie neben den Gräbern ihrer Eltern und ihres Bruders be­erdigt werden. Man hatte der Todten das Ordenskleid aus- gezogen. Ein einsamer Kahn trug den Sarg über den Strom. Die suspendirten Professoren von Bonn mit einigen Gesin­nungsgenossen, der Kurator der Universität, zwei befreundete

Aerzte, einige Freundinnen und Dienstboten des Hospitals, wenige Dorfbewohner erwiesen ihr die letzte Ehre. Professor Rensch, an mehreren! verhindert, sprach nach kurzen Ein­leitungsworten dreimal das Gebet des Herrn. Ein reicher Schatz von Liebe und Glaube war es, wofür man zu danken hatte, als die leibliche Hülle dieser Heldin in das einsame und in den Augen der römischen Kirche ehrlose Grab gesenkt wurde.

In einem kräftig ausgeprägtem Einzelleben spiegelt sich eine ganze Zeit, ihr Ringen und Streben, ihre Ziele und die Schmerzen und Wehen, unter denen sie seufzte. Nicht immer bedeuten die äußeren Erfolge den inneren Sieg, denn die­ser fällt zuletzt nur der Wahrheit und der Gerechtigkeit zu. Es können die besten Streiter zur Rechten und zur Linken falleil, ihr Martyrium bleibt ein Zengniß und eine Anklage, aber auch eine Bürgschaft, daß diese Opfer nicht vergeblich ge­fallen sind. Mit dieser Ueberzeugung steht oder fällt der Glaube an eine ewige Gerechtigkeit.

Dor dem Sturm.

Historischer Roman von Theodor Fontane.

(Fortsetzung.)

Nachdruck verboten. Ges. v. 11./VI. 7».

XUIIl. In Bohlsdorf.

Es war drei Tage später. In dem hinter der Gaststube gelegenen Alkoven saß die Bohlsdorfer Krügerssran und beugte sich über ihr Kind. Sie sang es in Schlaf, aber mit leiser Stimme, und in noch leiserer Schaukelbewegung ging die Wiege. Es hätte dieser Vorsicht nicht bedurft, denn der Kranke, dem sie galt, und der über dem Alkoven gebettet war, lag nun schon den dritten Tag in einem schweren Schlaf und lvar taub und todt gegen alles, was um ihn her vorging. Ein Arzt lvar noch nicht zu beschaffen gewesen, aber an Pflege gebrach es nicht, wenn man einem bloßen Aufmerken und Abwarten, dem sich seit dem gestrigen Tage zwei Frauen unausgesetzt unterzogen, diesen Namen geben konnte.

Mittag war vorüber. Es mochte die zweite Stunde sein, die schon wieder sinkende Sonne schien durch das Fenster einer kleinen Giebelstube, und ein freundlicher Glanz, als ging er voll dem Kranken selber ans, lvar um diesen her.

Seine Stirn ist feucht," sagte die Schorlemmer.Geh, Renate, und ruhe Dich aus. Eine Viertelstunde nur."

Ich bin nicht müde."

Du mußt es sein. Geh."

Und sie ging. Aber nicht um zu ruhen, sondern um einen Brief, den sie versprochen hatte, nach Hohen-Vietz zu schreiben. Sie schrieb:

Bohlsdorf, den 1. Februar.

Liebe Marie!

Wir sind gestern um die vierte Stunde hier augekvmmen und fanden unseren Kranken in einem tiefen Schlafe, der auch jetzt noch anhält. Wie tief dieser Schlaf ist, zeigte sich heute früh. Ich stieß ein neben dem Ofen stehendes Schüreisen um und erschrak, denn es gab einen großen Lärm; aber Lewin öffnete die Augen nur, um sie sofort wieder zu schließen. Uebrigens schien er mich erkannt zu haben; ich sah ihn lächeln, freilich nur wie im Traum. Denn der Schlaf hatte gleich wieder Gewalt über ihn. Wir erwarten jeden Augenblick Doktor Leist, und diese Zeilen sollen nicht eher fort, als bis wir ihn gehört haben.

Wie dies alles so gekommen? Ich habe nur wenig mehr erfahren, als wir schon wußten. Und Du mit uns. Ein Knecht fand ihn besinnungslos am Wege, lud ihn ans seinen Schlitten und gab ihn hier in Bohlsdorf ab. Die Krügersleute haben sich seiner angenommen und ihn gehegt und gepflegt. Er liegt in einer Giebelstube; Tante Schorlemmer und ich bewohnen die andere; nur der Bodenflur ist zwischen uns.

Warum er Berlin verlassen hat, um in Wind und Wetter bis hierher zu kommen, darüber Hab' ich nur Vermuthungeu. Und auch diese kaum. Es muß etwas Plötzliches gewesen sein, denn er war leicht gekleidet und trug nnr Rock und Filzkappe, trotzdem es eine naßkalte Nacht war. Eine Stunde früher, als der Knecht ihn fand, hat ihn der Bohlsdorfer Amtmann, der

mit seiner jungen Frau von Dahlwitz herkam, auf den Chaussec- steinen sitzen sehen. Die junge Frau (sehr hübsch) war heute Vormittag bei mir und hat mir von der Begegnung erzählt.

Sie habe sich vor ihm wie vor einer Erscheinung erschrocken. Dann sei er aufgesprungen und ihrem Wagen zwischen den Pappeln hin eine lange Strecke gefolgt. So wenigstens habe sie zu sehen geglaubt; sicher sei sie nicht. Du siehst, alles ist dunkel und räthsclvoll. Die junge Frau, die wohl eine halbe Stunde hier war, überraschte mich durch eine Aehnlichkeit mit Kathinka, selbst in ihrer Art sich zu kleiden. So trug sie, um nur eines zu nennen, auch eine polnische mit weißem Pelz be­setzte Mütze.

Ach, Marie, wie hat sich alles um uns her geändert! Ich sehne mich jetzt nach den stillen Hohen-Vietzer Tagen zurück, die ich so oft verklagt habe. Von allen Seiten drängt es heran, und ich erkenne, wie mein Herz zu schwach und zu klein ist, allem, was geschieht, sein zuständig Theil zu geben. In ruhigen Zeiten hätte mich der plötzliche Tod der Tante betrübt oder doch beschäftigt, jetzt vergehen Stunden, ohne daß ich daran denke. Nur an Dich denke ich viel; immer.

Ich erwarte noch hent' ein paar Zeilen aus Gnse; Papa hat sie mir zugesagt. Das Begräbniß der Tante vermnthe ich morgen; ihm beizuwohnen, daran ist nicht zu denken; ich kann hier nicht eher fort, als bis wir Lewin außer Gefahr wissen.

Und ehe nicht der alte Leist... Aber da hör' ich seine Stimme laut und eindringlich ans der Treppe. Alles wispert im Hanse, selbst die Knechte, die kommen, werden zur Ruhe bedeutet und fügen sich dem Zwang; nur alte Doktoren haben in ihrem Sprechen und Auftreten das Vorrecht der Zwanglosigkeit, und der alte Leist macht keine Ausnahme. Ich schließe vorläufig und will nur hören, was er sagt."

Renate schob das Blatt unter das Schreibnecessaire und traf den Doktor bereits am Bette drüben. Er sah mit seinen zwei Pelzhandschuhen, die an einer dicken Schnur rechts und links über den Mantelkragen hingen, abenteuerlich genug ans, und grüßte mit der einen freien Hand, während er mit der andern den Puls des Kranken zählte. Er schien zufrieden, be­fühlte noch Stirn und Schläfe, und sagte dann:Lassen wir ihn allein; er braucht uns nicht." Damit verließen alle drei den ruhig Weiterschlafenden, und gingen in die Franenstnbe hinüber, wo nun der Alte seinen Mantel ablcgte, während Re­nate über alles Kleine und Große, was die Auffindung Lewins begleitet hatte, in ähnlicher Weise wie in ihrem Briese an j Marie zu berichten begann. !

Sehr gut, sehr gut," unterbrach sie der offenbar ziemlich unaufmerksame Doktor, und fuhr dann, nachdem er auf einem Binsenstnhle Platz genommen und sich die breiten, braunfleckigen Hände behaglich gerieben hatte, in vertraulichem Tone fort:

Und nun, mein Renatchen, ehe wir weiter plaudern, bitt'