Heft 
(1897) 06
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Ueöer Land und Weer.

fünfhundert Aalen in die Netze gegossen werden. Etwas Unglaubliches von Gezappel."

Finde mich ganz darin Zurecht und bin auch für Alexanderplatz und Alexanderkaserne samt allem, was dazu gehört. Und so brech' ich denn auch die Gelegenheit vom Zaun, um nach einem Ihrer früheren Regimentskommandeure Zu fragen, dem liebenswürdigen Obersten von Zeuner, den ich noch persönlich gekannt habe. Hier unsre Stechliner Gegend ist nämlich Zeunergegend. Keine Stunde von hier liegt Köpernitz, eine reizende Besitzung, drauf die Zeunerfche Familie schon in sriedericiani- schen Tagen ansässig war. Bin oft drüben gewesen (nun freilich schon zwanzig Jahre zurück) und komme noch einmal mit der Frage: Haben Sie den Obersten noch gekannt?"

Nein, Herr Major. Er war schon fort, als ich Zum Regiments kam. Aber ich habe viel von ihm gehört und auch von Köpernitz, weiß aber freilich nicht mehr, in welchem Zusammenhänge."

Schade, daß sie nur einen Tag für Stechlin festgesetzt haben, sonst müßten Sie das Gut sehen. Alles ganz eigentümlich und besonders auch ein Grabstein, unter dem eine uralte Dame von beinah' neunzig Jahren begraben liegt, eine geborne von Zenner, die sich in früher Jugend schon mit einem Emigranten am Nheinsberger Hof, mit dem Grafen La Noche-Aymon, vermählt hatte. Merkwürdige Frau, voll der ich Ihnen erzähle, wenn ich Sie mal wieder­sehe. Nur eins müssen Sie heute schon mitanhören, denn ich glaube, Sie haben den Gustus dafür."

Für alles, was Sie erzählen."

Keine Schmeicheleien! Aber die Geschichte will ich Ihnen doch als Andenken mitgeben. Andre schenken sich Photographien, was ich, selbst wenn es hübsche Menschen sind (ein Fall, der übrigens selten Zutrifsl), immer greulich finde."

Schenke nie welche."

Was meine Gefühle für Sie steigert. Aber die Geschichte: Da war also drüben in Köpernitz diese La Noche-Aymon, lind weil sie noch die Prinz Heinrich-Tage gesehen und während derselben eine Rolle gespielt hatte, so zählte sie Zn den besonderen Lieblingen Friedrich Wilhelms IV. lind als nun sagen wir ums Jahr fünfzig der Zufall es fügte, daß dem zur Jagd hier erschienenen König das Köpernitzer Frühstück, ganz besonders eine Blut- nnd Zungenwurst über die Maßen gut geschmeckt hatte, so wurde dies Veranlassung für die Gräfin, am nächsten Heiligabend eine ganze Kiste voll Würste nach Potsdam hin in die königliche Küche zu liefern, lind das ging so durch Jahre. Da beschloß zuletzt der gute König, sich zu revanchieren, und als wieder Weihnachten war, traf in Köpernitz ein Postpaket ein, Inhalt: eine zierliche kleine Blutwurst. Und Zwar ein wunderschöner Blutkarneol mit Gold­speilerchen an beiden Seiten und die Speilerchen selbst mit Diamanten besetzt. Neben diesem Ge­schenk aber lag ein Zettelchen: ,Wurst wider Wurst'."

Allerliebst!"

Mehr als das. Ich persönlich ziehe solchen guten Einsall einer guten Verfassung vor. Der

König, glaub' ich, that es auch. Und es denken auch heute noch viele so."

Gewiß, Herr Major. Es denken auch heute noch viele so, und bei dem Schwankungszustand, in dem ich mich leider befinde, sind meine persönlichen Sympathien gelegentlich nicht weitab davon. Aber ich fürchte, daß wir mit dieser unsrer Anschauung sehr in der Minorität bleiben."

Werden wir wohl. Aber Vernunft ist immer nur bei wenigen. Es wäre das beste, wenn ein einziger Alter-Fritzen-Verstand die ganze Geschichte regulieren könnte. Freilich braucht ein solcher oberster Wille auch seine Werkzeuge. Doch ich denke, die haben wir noch in unserm Adel, in unsrer Armee und speziell auch in Ihrem Regiment."

Während der Alte diesen Trumps ausspiclte, kam Engelke, um ein paar neue Tassen zu präsentieren.

Nein, nein, Engelke, wir sind schon weiter. Aber stell nur hin. . . . In Ihrem Regiment, sag' ich, Herr von Czako; schon sein Name bedeutet ein Programm, und dies Programm heißt: Rußland. Heutzutage darf man freilich kaum noch davon reden. Aber das ist Unsinn. Ich sage Ihnen, Hauptmann, das waren Preußens beste Tage, als da bei Potsdam herum die ,russische Kirche' und das ,russische Hans' gebaut wurden, und als es immer hin und her ging Zwischen Berlin und Petersburg. Ihr Regiment, Gott sei Dank, unterhält noch was von den alten Beziehungen, und ich freue mich immer, wenn ich davon lese, vor allem, wenn ein russischer Kaiser kommt und ein Doppelposten vom Regiment Alexander vor seinem Palais steht. Und noch mehr freu' ich mich, wenn das Regiment Deputationen schickt: Georgsfest, Namenstag des hohen Chefs, oder wenn sich's auch bloß um Uuiformabänderungen handelt, beispiels­weise Klnppkragen statt Stehkragen (diese verdammten Stehkragen) und wie dann der Kaiser alle be­grüßt und zur Tafel zieht und so bei sich denkt: ,Ja, ja, das sind brave Leute; da Hab' ich meinen Halt'."

Czako nickte, war aber doch in sichtlicher Ver­legenheit, weil er, trotz seiner vorher versicherten .Sympathien', ein ganz moderner, politisch stark angekränkelter Mensch war, der, bei strammster Dienst- lichkeit, zu all dergleichen Ueberspanntheiten ziemlich kritisch stand. Der alte Dubslav nahm indessen von alledem nichts wahr und fuhr fort:Und sehen Sie, lieber Hauptmann, so Hab' ich persönlich in meinen jungen Jahren es auch noch erlebt und vielleicht noch ein bißchen besser; denn, Pardon, jeder hält seine Zeit für die beste. Vielleicht übrigens, daß Sie mir zustimmen, wenn ich Ihnen mein Sprüchel erst ganz hergesagt haben werde. Ta haben wir ja nun Jenseits des Niemen', wie manche Gebildete jetzt sagen, die ,drei Alexander, gehabt, den ersten, den zweiten und den dritten, alle drei große Herren und alle drei richtige Kaiser und fromme Leute, oder doch beinah' fromm, die's gut mit ihrem Volk und mit der Menschheit meinten, und dabei selber richtige Menschen; aber in dies Alexandertum, das so beinah' das ganze Jahrhundert ausfnllt, da schiebt sich doch noch einer ein, ein