Heft 
(1897) 06
Seite
15
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wie 'n Plakat. Und diesen großen Bogen hat er sich in die Waschtoilctte geklebt, und da mahnt es ihn immer."

Nun, Frau von Gundermann, dagegen ist doch nichts Zn sagen."

Nein, das will ich auch nicht. Eher das Gegen­teil. Es hat ja doch was Rührendes, daß es einer so ernst nimmt. Denn er hat Zwei Tage dran ge­sessen. Aber wenn solch junger Mensch es so immer liest, so gewöhnt er sich dran. Und dann ist ja auch gleich wieder die Verführung da. Gott, daß man gerade immer über solche Dinge reden muß; noch keine Stunde, daß ich mit dem Herrn Haupt­mann über unfern Volontär Vehmeyer gesprochen habe, netter Mensch, und nun gleich wieder mit Ihnen, Herr Pastor, auch über so was. Aber es geht nicht anders. Und dann sind Sie ja doch auch wie verantwortlich für seine Seele."

Lorenzen lächelte.Gewiß, liebe Frau von Gundermann. Aber was ist es denn? Um was handelt es sich denn eigentlich?"

Ach, es ist an und für sich nicht viel und doch auch wieder eine recht ärgerliche Sache. Da haben wir ja jetzt die Jüngste von unserm Schullehrer Brandt ins Haus genommen, ein hübsches Balg, rotbraun und ganz kraus, und Brandt wollte, sie solle bei uns angelernt werden. Nun, wir sind kein großes Haus, gewiß nicht, aber Mäntel abnehmen und 'rumpräsentieren, und daß sie weiß, ob links oder rechts, so viel lernt sie am Ende doch."

Gewiß. Und die Frida Brandt, o, die kenn' ich ganz gut; die wurde jetzt gerade vorm Jahr cingesegnet. Und es ist, wie Sie sagen, ein aller­liebstes Geschöpf und klug und aufgekratzt, ein bißchen Zn sehr. Sie will zu Ostern nach Berlin."

Wenn sie nur erst da wäre. Mir thnt es beinahe schon leid, daß ich ihr nicht gleich Zugeredet. Aber so geht es einem immer."

Ist denn was vorgefallen?"

Vorgefallen? Das will ich nicht sagen. Er is ja doch erst sechzehn und eine Dusche dazu, gerade wie sein Vater; der hat sich auch erst 'rausgemausert, seit er grau geworden. Was beiläufig auch nicht gut ist. Und da komme ich nun gestern vormittag die Treppe 'rauf und will dem Jungen sagen, daß er in den Dohnenstrich geht und nachsieht, ob Krammetsvögel da sind, und die Thür steht halb ans, was noch das beste war, und da seh' ich, wie sie ihm eine Nase dreht und die Zungenspitze 'raus­steckt; so was von spitzer Zunge Hab' ich mein Leb­tag noch nicht gesehen. Die reine Eva. Für die Potiphar ist sie mir noch zu jung. Und als ich nu dazwischentrete, da kriegte ja nu der arme Junge das Zittern, und weil ich nicht recht wußte, was ich sagen sollte, ging ich bloß hin und klappte den Waschtischdeckel auf, wo der Spruch stand, und sah ihn scharf an. Und da wurde er ganz blaß. Aber das Balg lachte."

Ja, liebe Frau von Gundermann, das ist so; Jugend hat keine Tugend."

Ich weiß doch nicht; ich bin auch einmal jung gewesen..."

Ja, Damen..."

Während Frau von Gundermann in ihrem Gespräch in der Fensternische mit derartigen Intimitäten kam und den guten Pastor Lorenzen abwechselnd in Ver­legenheit und dann auch wieder in stille Heiterkeit versetzte, hatte sich Dnbslav mit Hauptmann von Czako in eine schräg gegenüber gelegene Ecke zurückgezogen, wo eine altmodische Canseuse stand, mit einem Marmortischchen davor. Auf dein Tische zwei Kaffee­tassen samt anfgeklapptem Ligueurkasten, ans dem Dnbslav eine Flasche nach der andern heransnahm. Jetzt, wenn man von Tisch kommt, muß es immer ein Cognac sein. Aber ich bekenne Ihnen, lieber Hauptmann, ich mache die Blöde nicht mit; wir aus der alten Zeit, wir waren immer ein bißchen fürs Süße. Creme de Cacao, na, natürlich, das is Damenschnaps, davon kann keine Rede sein; aber Pomeranzen oder, wie sie jetzt sagen, Curcnzao, das ist mein Fall. Darf ich Ihnen cinschenken? Oder vielleicht lieber Danziger Goldwasser? Kann ich übrigens auch empfehlen."

Dann bitte ich um Goldwasser. Es ist doch schärfer, und dann bekenne ich Ihnen offen, Herr Major. . . Sie kennen ja unsre Verhältnisse, so 'n bißchen Gold heimelt einen immer an. Blau hat keins und dabei doch zugleich die Vorstellung, daß mau es trinken kann- es hat eigentlich was Großartiges."

Dnbslav nickte, schenkte von dem Goldwasser ein, erst für Czako, dann für sich selbst und sagte:Bei Tische Hab' ich die Damen leben lassen und Frau von Gundermann im speziellen. Hören Sie, Hanpt- mann, Sie verstehen's. Diese Nattengeschichte..."

Vielleicht war es ein bißchen zu viel."

I, keineswegs. Und dann. Sie waren ja ganz unschuldig, die Gnäd'ge fing ja davon an; erinnern Sie sich, sie verliebte sich ordentlich in die Geschichte von den Ninnsteinbohlen, und wie Sie drauf 'rnmgetrampelt, bis die Natten 'rauskamen. Ich glaube sogar, sie sagte ,Biester'. Aber das schadet nicht. Das ist so Berliner Stil. Und unsre Gnäd'ge hier (beiläufig eine geborene Helfrich) is eine Vollblutberlinerin."

Ein Wort, das mich doch einigermaßen über­rascht."

Ah, ich verstehe. Sie sind einer gewissen Un- ausreichendheit begegnet und verlangen mehr Quadrat. Von Knbik will ich nicht sprechen. Aber wir von Adel müssen in diesem Punkte doch ziemlich milde sein und ein Auge zudrücken, wenn das das richtige Wort ist. Unser eigenstes Vollblut bewegt sich auch in Extremen und hat einen linken und einen rechten Flügel; der linke nähert sich unsrer geborenen Helfrich. Uebrigens unterhaltliche Madam. Und wie beseligt sie war, als sie den Namenszug auf Ihrer Achsel­klappe glücklich entdeckt und damit den Anmarsch auf die Münzstraße gewonnen hatte. Was es doch alles für Lokalpatriotismen giebt!"

An dem unser Regiment teilnimmt. Die Welt um den Alexanderplatz herum hat so ihren eignen Zauber, schon um einer gewissen Unresidenzlichkeit willen. Ich sehe nichts lieber als die große

Markthalle, wenn beispielsweise die Fischtonnen mit