Kindesmorderinnen am Spinnrad.
Aconrentbitöer aus Zenares.
Von
I)r. K. Woeckr (Dresden).
(Mit acht Abbildungen nach Momcntphotographicn des Verfassers.)
ÄMeiiares, die berühmte Stadt der 1500 Tempel, der sN Wallfahrtsplatz der Hindu am heiligen Ganges, enttäuscht wohl jeden modernen Globe-Trotter, der Indien durcheilt. Die rauhe Wirklichkeit entspricht nicht den Vorstellungen, die er sich von den Tausenden dort badender Hindufrauen und -Männer zurechtgelegt hat. Mit einein blasierten „Nichts Besonderes, nichts Originelles" thut er die Erinnerung an Benares ab.
Und doch ist Benares für den Forscher indischen Volkslebens eine unerschöpfliche Fundgrube, die ich mit stets vermehrter Freude aus meinen indischen Reisen besuchte. Freilich, als ich im Jahre 1890, aus den eisprangenden Tempeln der Natur im Himalapa, ans den reinen Lüften des erhabensten Gebirges der Welt herniedersteigend, Benares zum erstenmal berührte, da konnten mich die zum Himmel qualmenden Opfergerüche von schmelzender Butter und brennendem Kuhdünger, die unsauberen, zerfallenden Tempel an ! den trubtraurig dähinschleichenden, lauen Gangesfluten nicht sonderlich begeistern; hatte ich doch diese selben Fluten erst wenige Blonde zuvor so jugendfrisch aus ihren krystallenen Gletscherquellen am Himalapa hervorsprudeln sehen. Bei meinen späteren Besuchen aber kümmerte ich mich wenig um das ästhetische Unbehagen, das im Dunstkreis der „dreimal heiligen" Stadt Benares keinen reinen künstlerischen Genuß auskommen läßt.
Forschen wir heute nicht den mythologischen Gründen der Heiligkeit dieses Ortes nach, den der Hindu ja für eine der Verkörperungen seines Gottes Schiwa betrachtet. Kein Wunder, daß hier alles auf den Schiwa-Kultus Bezug hat. Ter große Tempel, der einst dem andern Hauptgott der Hindu, dem Wischnn, gewidmet war, liegt in Trümmern, aus denen der siegreiche Großmogul Aurnngzeb am Ende des siebzehnten Jahrhunderts die schlanken Minarets einer Moschee erstehen ließ, um weithin zu verkünden, daß der
Ueber Land und Meer. Jll. Okt.-Hefte. XIV. 6.
Islam den brahminischen Hindu-Kultus zu Boden geschmettert habe.
Doch vorübergerauscht sind auch diese Tage, und es folgte eine andre Fremdherrschaft, die klug genug ist, die ^ Hindu nach ihrer Fa^on selig werden zu lassen und in ^ ihrem Kultus nicht zu stören.
^ Die Sehenswürdigkeiten von Benares sind schon oft beschrieben; dieselbe Horde fremdensührender Halunken treibt ^ die europäischen Reisenden tagaus tagein hastig und geräusch- ^ voll ans den Ställen der heiligen Kühe im „goldenen"
^ Tempel zu dem Tempel der heiligen Assen, von den blendenden Badeghats zu dem sumpfigen Erlösungsbrunnen, bis der übersättigte Reisende froh ist, den ganzen Tumult im Rücken zu haben — obgleich er oft den Wald vor Bäumen nicht gesehen hat.
Schlau, wie der Hindu nun einmal ist, bemüht er sich > nämlich, den verhaßten Europäer möglichst wenig an die Stellen gelangen zu lassen, an denen das indische Leben in aller Stille die vollsten, schönsten Blüten treibt. Vor allem sucht der Hindudiener die Kahnfahrt längs der Vade- plätze, die Glanznummer des Reiseprogramms seiner Herrschaft, möglichst reizlos zu machen. Angeblich fehlt es bald an Fahrzeugen, bald an Fährleuten. Der Reisende ahnt es nicht, wie sich, indem er die entzückend kühlen Morgenstunden unwirsch verwarten muß, die Physiognomie des Gangesstrandes zu seinen Ungnnsten ändert. Während im Scheine des Mondes, im Schimmer der aufdämmernden Morgenröte nur Vertreter der höchsten Kasten, Rajahs und Brahminen, edle Frauen und zarte Mädchen, in hellfarbige Musselintücher gehüllt, im Wasser stehen und das Gangesnaß ans goldenen oder silbernen Lotaschnlen über ihre Glieder schütten, unbekümmert um das sonst in Benares so streng beobachtete System der Frauenabschließung, werden von Stunde zu Stunde die Badenden „minderwertiger" ; sind schließlich nur noch armselige, verkümmerte Gestalten der Letzten des Volkes an den Ufern zu sehen, dann erst läßt der listig lächelnde Hindusührer den Europäer großmütig dieses Schauspiel genießen, der dann seiner Enttäuschung natürlich gereizten Ausdruck verleiht. So auch in den Tempeln. Wohl sieht der Reisende genug derselben
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