40
Weber Land und Weer.
und wieder wurde Reims im Mittelalter von allerlei Kriegsvölkern belagert, erobert und geplündert, und es läßt sich vermuten, daß die in Form von süffigem Weine dort zu findende Beute eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf durstige Ritter- und Söldnergurgeln ausgeübt hat.
Im sechzehnten Jahrhundert wurden die Rebengelände um Reims von irgend einer Vorgängerin unsrer gefürchteten Phylloxera so arg verwüstet, daß die biederen Stadtbürger sich schließlich veranlaßt fanden, eine formelle Eingabe an den geistlichen Gerichtshof zu richten. Nachdem sie in dem Schriftstück des langen und breiten erklärt, wie diese „bruelies" oder „erueÜ68^ seit Jahr und Tag die Traubenernten vernichtet, gaben sie der Bitte Ausdruck, die Kirche möchte „solch gottlose Insekten oder Tiere" ernstlich verwarnen und ihnen befehlen, die Gegend zu verlassen. In der Thal wurden dann durch Ausrufer besagte Kreaturen aufgefordert, sich innerhalb sechs Tagen von hinnen zu heben und nie wieder das Gebiet der Diözese zu betreten, unter Androhung des Anathemas für die Ungehorsamen. Ob der Bannspruch die gewünschte Wirkung gehabt hat, darüber giebt die Chronik keinen Aufschluß.
Im Mittelalter soll in der Umgebung von Reims der beste Tropfen gewachsen sein; heute giebt's dort fast keine Rebenpslanzungen mehr. Zentralpunkt des Weinwuchses der Champagne ist gegenwärtig Epernay; in Schaumweinfabrikation und Handel steht indes Reims immer noch obenan. Ein wahres Labyrinth von Kellergewölben zieht sich unter der Stadt hin, in der mehr als zwanzig Champaguerfabriken ihre Hauptquartiere haben. Der Betrieb spielt sich zum größten Teil unterirdisch ab.
Von den bekannten Weltfirmen haben ihren Sitz in Reims: Clicquot, Roederer, Heidsieck und Pommery; Moet & Chandon, Pol Roger und Perrier Jouet domizilieren in Epernay; Giesler und Duc de Montebello in Ay oder Arige.
Ueber die Vorzüge dieser oder jener Marke gebe ich kein Urteil ab; das ist Geschmackssache. Ich habe auch keine vergleichenden Beobachtungen über die verschiedenartigeil Behandlungen des Weines angestellt, sondern nur eine einzige Fabrik — allerdings eine der ersten — besucht und dort von dem ourrieuluru vitmtz des Champagners etwelche Kenntnis genommen.
In dem Etablissement der Herren F. führte man mich in eine riesige unterirdische Halle, über hundert Schritte lang und entsprechend hoch und breit. Eine wahres Ungetüm von einer Tonne nahm den Ehrenplatz im Mittelgange ein; etliche Hunderte von kleineren, aber immer noch sehr respektablen Fässern lagerten in Reihen neben- und übereinander, parallel mit den Längswänden. Diese insgesamt zwischen 20 000 und 30 000 Hektoliter fassenden Behälter sind für die erste Unterbringung des von den Keltern kommenden Weines bestimmt.
Die Firma besitzt ausgedehnte eigne Rebengelände, aber ihr Ertrag deckt bei weitem nicht den Bedarf, weshalb kurz vor der Traubenlese ein paar Dutzend Agenten im Lande herumreisen nnd Kaufverträge mit den Weinbauern abschließen.
In den Keltern'wird peinlich darauf geachtet, daß weder unreife noch überreife Beeren unter die Presse kommen. Es findet eine minutiös sorgfältige Auslese statt, uud die Kosten des Rohmaterials sind infolgedessen, besonders in ungünstigen Weinjahren, sehr hohe. Im Jahre 1887 zun: Beispiel kam der aus den besseren Lagen stammende, frisch ausgepreßte Most auf 5,50 Franken per Liter zu stehen. Einige Tage, bis der gröbste Satz sich niedergeschlagen hat, bleibt der Most in kolossalen offenen Standen; dann wird er in neue Fässer äbgelassen, die erst nach Verlauf von acht bis zehn Wochen, also um Weihnachten, ihren Inhalt an die Lagerfassung der vorerwähnten Riesenhalle abgeben. Nach hier
durchgemachter Gärung geht's ans Mischen, das jeder Fabrikant nach der von ihm adoptierten Sondermethode vornimmt. Mischungen des Mostes aus verschiedenen Lagen werden dabei in allen möglichen Kombinationen vorgenommen. Der Mischungsprozeß vollzieht sich wiederum in mächtigen offenen Bottichen.
Der nach dem Mischen abermals in Fässer gebrachte Wein ruht jetzt ungestört bis in den Mai hinein, in welchem Monat für gewöhnlich das Abziehen auf Flaschen beginnt.
Ein wesentliches Moment ist die Qualität der Flaschen. Diese müssen außerordentlich widerstandsfähig sein, und die entsprechenden Kosten figurieren als recht erheblicher Posten im Fabrikationsbudget.
Je nach seinen: natürlichen Zuckergehalt erhält der Wein bei der Flaschenfüllung einen größeren oder geringeren Zusatz von Rohrzuckerlösung, durchschnittlich drei Prozent. Die gefüllten und mechanisch fest verkorkten, aber noch nicht gedrahteten Flaschen kommen nun in oberirdische Lagerhäuser, deren Temperatur auf einer Höhe gehalten wird, die die Kohlensäurebildnng begünstigt. Ist diese im Gange, dann finden die Flaschen, genau horizontal gelegt, Platz in den Kellergewölben und bleiben dort zwei bis vier Jahre zur Ausreifung des Weines. Der Verlust infolge Platzens der Flaschen ist, wenn auch geringer als früher, heute immer noch recht beträchtlich; man rechnet durchschnittlich auf einen Abgang von sieben Prozent.
Nach vollendeter Reife werden die Flasche:: auf Lager transloziert, in denen sie schräg mit den Hälsen abwärts ruhen. Die noch vorhandenen Sedimente sollen am Kork sich sammeln, und um diesen Niederschlag zu befördern, wird jede Flasche täglich einmal um ein Achtel ihres Umfanges gedreht. Die betreffenden Arbeiter manipulieren dabei mi! einer erstaunlichen Schnelligkeit und doch so sicher, daß genau in acht Tagen die Flaschen den Laus um sich selber vollendet haben. Vier- bis fünfmal wird dieses Manöver wiederhüt dann ist in der Regel der Zweck erreicht; wein: nicht, wird mit der Schüttelmaschine (tzleekrissur) nachgeholfen.
Nun durchschneidet man den provisorischen Verschluß, und die arbeitende Kohlensäure treibt den Pfropfen samt de» Sedimenten aus der von dem Arbeiter horizontal gehaltene» Flasche, die aber in: Augenblick der Explosion mit der Mündung nach oben gerichtet und rasch durch einen frischen Kor! verschlossen werden muß. Dieses Abspritzen (Tegorgieren erfordert große Hebung und Geschicklichkeit.
Zum Abschluß gelangt die Fabrikation mit dein Znsetze» des „Liqueurs" und dem definitiven Verpfropsen und Verdrahten der Flaschen. Der Liquenr besteht ans sch altem, schweren:, stark mit Rohrzucker versüßten: Weine.
In jüngerer Zeit wird, besonders in England, viu drut das heißt Champagner ohne Liquenr, verlangt, doch ist die Nachfrage nach dieser Sorte noch eine verhältnismäßig beschränkte. Die Russen wollen ihren Champagner sehr süß mit gut zwanzig Prozent Liqueurzusatz. Für den deutsche» Markt werden zehn Prozent, für Amerika sieben bis ach Prozent, für England drei bis vier Prozent beigemW, Insgesamt werden aus den Reims- und Epernay-Distriktc« jährlich etwa fünfundzwanzig Millionen Flaschen nach de«, Auslande versandt.
Der Mittelpunkt der Welt.
Märkische sage.
Au Poxpau steht ein alter Stein:
^ Dort soll der Erde Mitte sein.
In Hoppan hält inan das für wahr,
Und mir scheint es nicht sonderbar:
Lin jedes Nest, das kleinste, hält Sich für den Mittelpunkt der Welt.
Georg Bötticher