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Wein Kauptmann.
Mein Kcniptmnnn.
Novellette
von
Gmil
s regnet beständig — aus die elenden, an- geräucherten Ziegeldächer, auf die Menschen- leeren, tristen Gassen, auf die Hökerfrau, die stumpfsinnig an der Kirchenecke sitzt und ihre ! Aepsel anstarrt — aus die ganze Stadt.
Eine Stadt ist es, um sich darin tot zu langweilen — oder eigentlich nicht mal eine Stadt — ein Flecken — eine Ansammlung von ein paar Baracken um eine ziegelsteinrote Kirche herum, die niederträchtigste Garnison in ganz Oberschlesien — eine Stadt, in der man es jedem Bewohner verzeihen müßte, wenn er aus Dummheiten verfiele — aber leider ist nicht die leiseste Möglichkeit zu Dummheiten vorhanden. Die Mädel sind polnisch schmutzig, die Kneipen abscheulich, Umgegend gar nicht — dazu der Regen! Und obendrein das Bewußtsein, nichts zu sein als ein armer Lieutenant, der nichts hinter sich gebracht und auch nicht die geringste Aussicht hat, etwas vor sich Zu bringen.
Der Regen ist mir aus die Laune gefallen — und der Brief!
Dieser Brief! Er trägt den Poststempel „Alaska". Also da hinten ist er nun, irgendwo in jenem Amerika, in dessen Geographie ich so schwach bin — da reist er nun in der Neuen Welt seinen Kummer tot, als wenn man in der Neuen Welt vergessen könnte, was einem in der Alten geschah! — Mein Hauptmann — ich kann nicht sagen, daß ich oft an ihn denke — es kommen Tage, wo ich es überhaupt zu keinem Gedanken bringe — aber wenn ich es thue. . .
Heute kann ich nicht anders. Der rührende Brief, den er gar nicht Zn schreiben brauchte, den er nur schrieb, weil er weiß, daß er damit seinem langen Tom eine Freude macht — der Brief ist schuld! Nach meinem Gaul fragt er und nach meinem Hund, und ob ich abends zuweilen noch geige? Herr Hauptmann! Der Gaul ist krepiert, und den Hund Hab' ich verwettet, lind aus der Geige sind die Saiten zersprungen.
Ich könnte es ihm schreiben, aber ich weiß nicht: wenn das Geschreibsel vierzehn Tage reist, ist nachher alle Ursprünglichkeit von ihm weg — nichts Persönliches mehr, nichts Unmittelbares.
Und doch!
Drüben hat er gewohnt, wo jetzt wegen Umbaus der Strohbesen warnend in der Luft schwebt — umsonst! Denn es geht doch niemand vorbei, dem ein Stein auf den Kops fallen könnte.
Der Hanptmann also — sechs Jahr lang war er mein Gegenüber. Er hat mich sozusagen anf- gepeppelt. Als ich mit meinen langen Gliedern hier ankam, der „Fähnrich ohne Fleisch und Blut", wie sie mich nannten, und als ich unschneidig genug war, beim ersten Marschieren in der Hitze eine Ohnmacht zu bekommen, da hat er mich aus sein Pferd
Ueber Land und Meer. Jll. Okt.-Hefte. XIV. 6.
gesetzt und in meine Bude transportiert, und weil keine Mutter oder Schwester für mich in erreichbarer Nähe existierte (erstere lebt in Köln, und die Schwester „steht" in Mörchingen), da hat er mich aus dem Nervenfieber herausgepflegt — oho! so etwas vergißt man nicht so leicht.
Was ich geworden wäre ohne ihn?
Na, ich bilde mir nichts ein — viel ist's auch jetzt nicht, aber dann wär s jedenfalls noch ärger gewesen!
Er war gar kein sogenannter „besonderer" Mensch, glaub' ich. Weder war er so extra klug — ich meine: carrieremachend klug — noch beging er eine jener imponierenden Dummheiten, deren Andenken sich zweiten als Bonmot von Regiment Zu Regiment sortpflanzt. Er that nie, was er nicht hätte thun sollen, aber er hätte doch allerhand Besonderes anstellen können — er mit seinem Geld!
Zuweilen bezahlte er jemand die Schulden. Das war der einzige Luxus, den er sich leistete.
Wenn er bei der Messe zwischen uns saß — wir andern alle arme Schlucker von da und dort, Ossizierssöhne mit Corpserziehung und fünzig Mark monatlicher Zulage — dann war er so eine Art Oase in der großen Mammonswüste ringsum. Für unsereins hatte das einen gewissen Nimbus: einer, der eventuell aus Liebe heiraten konnte!
Zuweilen hieß es, er sei verlobt, einmal mit der Oberstentochter, dann mit einem zugereisten Doktorsbesuch. Das erste Mal war es Klatsch, das zweite Mal Verwechslung.
Aber als er einmal nahe daran war, da ahnte es im ganzen Nest niemand — und niemand hat's gewußt außer einem, dem langen Tom, der hilflos dabei gestanden hatte und sich die Geschichte mit ansehen mußte, bis ihm vor Schmerz und Aerger die Augen feucht wurden.
Ach, und es war eine so unvernünftige Geschichte, eine so überflüssige Sache, die eines tragischen Ausgangs gar nicht bedurfte, die viel normaler hätte endigen können, wenn sie nur gewollt hätte.
Das ist ja nicht schlimm, daß Menschen sich verlieben, ini Gegenteil, den meisten thut es gründlich gut, rüttelt sie durch und wischt ihnen vorübergehend den Alltagsstaub von den Seelen — aber in der Jugend soll man's thun, nicht kurz vor Thorschluß.
So wie es heute regnet, eigensinnig, fortwährend, mitleidlos, so goß es an jenem Tag, als er schied.
„Junge, wenn du mal Schulden machst," sagte er, „vergiß nicht, daß ich lebe! Siehst du, ich Hab' den Rummel hier satt, will mir die Welt mal von einem andern xoiat cks vus betrachten."
Natürlich! Wird sich einer, der Geld hat, auch lebenslänglich an eine Scholle binden — noch dazu an eine wie diese hier, diese ewig naßgeregnete?!
„Und noch eins!" fuhr er fort. „Tom, wenn du das rechte Warum weißt, — die andern brauchen es ja nicht zu merken, weshalb ich gehe."
Wir „aßen ihn ab" und geleiteten ihn dann alle an die Bahn. Er war gütig und ruhig wie immer. „Auf Wiedersehen!" johlten die andern ihm nach, als die Maschine davonsuhr. Ich wußte:
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