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Zle-ber Land und Meer.
der kam nicht wieder! Mit dieser Gegend hatte er endgültig abgeschlossen!
Aus Smyrna schrieb er mir. Das nächste Jahr verbrachte er in Australien, dies Jahr Chicago, dann Alaska — eigentlich ein beneidenswertes Repertoire, das heißt, wenn die Erinnerung nicht mit ihm reiste, und die wird er in keinem Erdteil wieder los.
Aber so ist einmal das Leben!
Gegenliebe, wo kein Geld ist — und wenn die Verhältnisse geordnet sind, dann hapert's mit der Liebe! Nirgends Harmonie und Einklang!
Im Manöver war's vor Zwei Jahren.
Erst drückten wir uns durch verschiedene Dörfer schmutzigen Inhalts, schliefen auf Folterbetten und bekamen alle Tage Zähe Hühner, dann quartierte man uns plötzlich Zu fechfen auf ein Gut ein.
Tarnowa hieß das Gut, ein alter, malerischer Kasten mit hübschen Holzgelandern an jedem Stockwerk, mehreren ineinander geschachtelten Höfen und einem halbverwilderten Garten, der gerade darum so schön war, weil er jeder Dressur entbehrte.
Mir thut immer ein solcher Garten wohl! Wenn ich aus mein Leben zurückblicke — überall der Stempel der Dressur — meine Knaben- und Mannesexistenz, beide unter ihrem Zeichen, unerbittlich eingezwängt in die Gamaschen des Hergebrachten und den Waffenrock d/s Muß! Wenn ich meine Umgebung betrachte — überall dasselbe! Solch ein Garten aber — da schießt und wächst alles durcheinander, wie es will, und frei, wie man selbst hätte wachsen mögen.
Statuen standen in dem Garten, am Hans befand sich eine Terrasse, aus der wir abends mit der Familie saßen, von oben sahen uns dann die Sterne in die Theetafsen, und wir rauchten die Mücken fort, die sich aus dem Blumengewirr Zu uns verflogen. Die Hausfrau spielte meist mit unserm „Jüngsten" Halma, und der Hausherr politisierte auf meinen Hauptmann ein, der sich das in seiner Herzensgüte auch ruhig gefallen ließ.
Das Gut hatte früher einem Fürsten gehört, war dann in andre Hände übergegangen und vom jetzigen Baron mit dem Geld seiner Frau, einer Wiener Banquierstochter, angetanst und ausgebaut worden.
Es war alles so urbehaglich und dabei das Parfüm des Wohllebens — so gar keine Schuldenaugst in der Luft!
Sie hatten einen Sohn, der lange Jahre ohne bestimmten Zweck in der Welt herumgefahren war, sich von irgendwo eine Frau mitbrachte und jetzt aus dem Nachbargute saß — nach zahllosen Photographien zu schließen, ein blonder, zufriedener und beschränkter Mensch. Beschränktheit, die blonden Haare und der Reichtum — alles wohl Erbteil der Mutter. Das Bild seiner Frau war ultra-chic, so eins, bei dem sich in Hinsicht auf das andre die Worte aufdrängten: „Wie kommt die Frau zu dem Mann?!"
Es hieß, sie sei eine Russin.
Wir jungen Leute fühlten uns etwas nihilistisch angeweht — aber gerade darum zündete sie so! Wir waren ja alle noch unblasiert und kannten die
große Welt nur aus abgegriffenen Schmökern. So ein feines Porzellanköpfchen war's, halb engelhaft, und dann auch wieder ein kleiner Teufelszug um die Augen!
Wir saßen immer davor, wenn Barons nicht zugegen waren, und in Ermanglung lebender Gegenstände schmachteten wir die Schwiegertochter an.
Mein Hauptmann lachte uns aus.
Am Sonntag hieß es, sie kämen — die Kinder vom Haus nämlich. Wir waren alle tadellos frisiert und standen auf der Terrasse, als der Wagen seitwärts in den Hof fuhr.
Der Ehemann war eigentlich ein erbarmungswürdiger Mensch, sozusagen rührend beschränkt, nicht einmal elegant, trotzdem er die Moden aller Metropolen zu studieren Gelegenheit gehabt hatte; er war auch undressiert, aber im ungeschickten Sinn, nicht malerisch wie der wilde Garten, nur durchs Leben getragen von dem Passe, den sein Name und sein Vermögen ihm ausgestellt. „Sie" war genau wie das Bild, nur daß ihre Augen unbefriedigter dreinschauten wie zur Verlobungszeit — und hinter ihr stieg die Schwester vom Break.
Die Schwester, die zu Besuch war.
Weshalb mußte sie auch gerade damals kommen?! Freilich, wir jungen Leute waren äußerst froh: eine Doppelausgabe der schönen Frau und dabei ledig — und wir vierundzwanzigjährig und Lieutenants!
Als sie ins Zimmer kamen, stand der Hauptmann gerade beim Zeitnngstisch; ich glaube, er hatte das Wagenrasfeln ganz überhört, und als er sich beim Geräusch der Thür umdrehte, geschah es, daß er plötzlich vor der Schwester stand — und ich, der gerade dabei war, sah es binnen einer Sekunde, daß es mit meinem Hauptmann nicht in Ordnung war. Es flog jener Ausdruck über sein Gesicht, den ich schon öfters an Menschen wahrgenommen habe, die eine plötzliche Erleuchtung überkommt.
Und mir fiel es im selben Augenblick ein, daß sie sehr jung war und er fast ihr Vater Hütte sein können, und ich weiß nicht: der Gedanke war mir gräßlich, weil diese Art von Mißverhältnis nun einmal nicht auszugleichen ist und doch nur selten eine Liebe vorkommt, die Stärke genug besitzt, eine Brücke über die Kluft zu schlagen.
Mir verdarb es zuerst die Stimmung. Dann gab ich mich wie die andern dem Vergnügen hin. Wir tranken endlos Sekt und waren sehr froh, als wir hörten, daß „die Kinder" noch mehrere Tage bleiben wollten.
Der Hauptmann war so heiter, wie ich ihn noch gar nicht gekannt hatte. Damals beruhigte mich das; jetzt weiß ich: es ist psychologisch ganz natürlich! Wenn ein Herz spät Zum erstenmal schlägt, so macht diese Empfindung glücklich, weil ihr Fehlen bisher eine Leere gab, die unbewußt jeder auszufüllen strebt, und die — wenn sie ausgefüllt wird — vorübergehend jene Jngendgefühle zurückbringt, die das Beste vom Leben sind.
Es ist doch so ein gewisser Nimbus, den das Wort „Russin" an sich hat, auch wenn man nicht