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Weöer Land und Meer.
Vor Tisch erst wurde Lanox den Damen vorgestellt. Er engagierte sofort die Schwester dem Major weg und saß neben ihr, all seine Raketen versendend.
Der Hauptmann war schweigsam. Ich paßte wie ein Schießhund auf. Die kleine Russin benahm sich höflich und gesprächig; aber einmal sah ich, wie sie den Lanox anschaute, von der Seite — so von unten nach oben, von seinen milchigen Ringfingern bis zur malerischen Stirnlocke — und dann lächelnd, mit einem winzigen Anflug von Geringschätzung.
Nach Tisch standen wir auf der Terrasse. Lanox klebte noch immer neben seiner Dame, und mein Hauptmann hielt sich ganz fern. Er sah auf das Rhododendronbeet unter dem Eisengitter, und weil er so seltsam hinunterblickte, so traurig, unruhig, konnte ich nicht lassen, ihm eine Art von Trost zu spenden.
„Heut girrt der Lanox umsonst," sagte ich; „seine Dame läßt ihn gründlich absallen."
„Meinen Sie?" fuhr er auf und sah plötzlich ganz erleichtert aus. Die Augen der Liebe sind ja immer argwöhnisch; er traute seinem Urteil offenbar nicht ganz.
„Und," fuhr ich fort, „was mir an der jungen Dame so besonders gefällt: sie ist nicht die Spur kokett!"
Er sah mich forschend an. Ob er meinte, ich hätte ihn erraten? Ich machte mein dümmstes Gesicht, paffte in die Lust und freute mich, daß ich ihm eine Wohlthat hatte erweisen können.
Gegen Abend wurde geritten — Frau von Erdmannsdorf mit dem Major, der immer enthusiasmierter für sie wurde — der Hauptmann mit der Schwester. Den Lanox hielt ich künstlich Zurück. Langweilig, wie „Damenherren" in männlicher Gesellschaft fast immer sind, saß er mit seiner Sportszeitung in der Divanecke und stieß ab und zu die Stirnlocke in die gehörige Welle zurück. Dazwischen gähnte er und bemerkte schließlich: seine Tischnachbarin sei die erste Russin seiner Bekanntschaft gewesen, die „keine Schneid" gehabt hätte.
Draußen duftete die Welt nach Heu, Azaleen und Akazienblüten. Die Dämmerung sank über den verwilderten Garten; ich stieg hinunter und that mir eine Güte, über den unebenen Boden hin- Zustolpern und zuweilen gegen eine Rose oder eine blühende Geißblattranke anzurennen. Dann hörte ich Getrappel. Die Reiter kamen wieder. Der Hanptmann hals ihr vom Pferd. Gott, wie glücklich er aussah! Himmel, wenn das nur so bleiben konnte!
Nach Tisch nahm mich plötzlich der Erdmanns- dorfer unter den Arm und zog mich in das Arbeitszimmer des Gutsherrn. Die Wände wimmelten dort von Geweihen, und gespenstisch langzackige Schatten huschten über die Tapete. Das Licht --- ich seh' es noch heute — wurde vom Abendwind, der durch das offene Fenster drang, hin und her geworfen.
Schlimm, wenn einer so beschränkt ist! Aber warum nahm man ihn auch zu solch diplomatischer Sendung?
Er fragte ungeschickt und unverblümt nach den finanziellen Verhältnissen des Hauptmanns, und dabei kam es denn heraus: der Hauptmann hatte gesprochen und die Erdmannsdorser sich acht Tage Bedenkzeit erbeten. Die Kleine hatte die Bedenkzeit zwar für unnötig befunden, aber — nein! Wie beschränkt dieser Erdmannsdorser war! Er plapperte alles aus. Eigentlich wäre der Hauptmann doch keine rechte Partie für so jemand wie seine Schwägerin, und wenn er nicht sehr vermögend wäre —
Pfui, der Schacher!
Sie war unschuldig, denn ich sah sie kurz nachher neben meinem Hauptmann stehen. Gewiß, an dem Abend hatte sie ihn gern, herzlich gern, so gern, wie diese auf Berechnung erzogenen Weltkinder jemand gern haben können. Sie fühlte vielleicht instinktiv, daß sie vor einem Kreuzweg stand, wollte absichtlich den andern Weg wählen wie ihre Schwester, nicht den Pfad zum vamit^ tair, zum unbefriedigten Hetzen nach Lebensgenuß. Ein Stück idealeres Denken — nicht unerzogenes, nur zufällig vorhandenes — sprach mit bei ihr, und dann die rührende Liebe von ihm, jene überbrückende Liebe, die über die Kluft der Jahre hinwegreicht.
Ich schlich mich früher als die andern fort; ich wollte nicht mit ihm reden müssen, nicht heucheln müssen, daß ich nichts wüßte — und nicht zugestehen, daß ich etwas wußte, weil — nun, weil man doch das Spätere nie voraus weiß.
Zwei Tage später gab der Raschiner ein großes Zaubersest.
Seine Schwester, eine Generalswitwe aus Posen, machte die Wirtin. Die ganze Umgegend tanzte dort und alles, was in der Nähe manöverierte.
Ich habe selten so toll tanzen sehen. Die himmlische Sommernacht mochte schuld sein, vielleicht auch die Weine des Raschiners und die ungarische Musik, die wie ein Hauch der Pußta, wie abgerissene Strophen Lenauscher Zigeunerlieder unmittelbar in das moderne Getriebe klang.
Man sah die verschiedensten Uniformen; mir schienen die meisten verhältnismäßig inhaltlos; ich war von der langen Morgenübung zu abgespannt, um mich dem Menschenstudium hinzugeben. Da sah ich — es schlug bereits Mitternacht — den Hauptmann in einer Fensternische, den Blick unverwandt aus die jüngere Schwester geheftet — einen angstvollen, unruhigen Blick.
Sie walzte durch den Saal. Ihr Tänzer. ..
Ich fragte meinen Nachbarn sofort, wer der blasse Artillerist mit der Stirnnarbe sei?
„Das ist ja der berühmte Hans Valaghi!" sagte der Dragonerpremier, verwundert über meine Frage.
Hans Valaghi — natürlich hatte ich von ihm gehört! Wer kannte ihn nicht in den östlichen Regimentern? Ja, und nun war ich auch sofort orientiert in der ganzen Erscheinung. Die Narbe an der Stirn war die Säbelnarbe, die der unglückliche Prinz Avon ihm in der schlimmen Wiener Affaire hingezeichnet ; das Band an der Brust war die Rettungs- i Medaille dafür, daß er bei der großen Fenersbrunst