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Weöer Land und Weer.
Minna Cauer, die kluge und einflußreiche Vorkämpfern: der Frauenbewegung, zieht in der von ihr herausgegebenen „Frauenbewegung" eine interessante Parallele, in der sie die gewaltige Beteiligung der deutschen Frauen an dem Berliner Kongreß dein auffallenden Mangel an Interesse bei den Belgierinnen und Brüsselerinnen, die Berliner Begeisterung der kühlen Ruhe der belgischen Hauptstadt, die gefüllten großen Berliner Versammlungsräume dem halbgefüllten Brüsseler Saal gegenüberstellt, „der vielleicht überhaupt nur fünfhundert Personen hätte fassen können..."
Ob die geringe Beteiligung an dem Brüsseler Kongreß ans Zufälligkeiten beruht oder tiefere innere Ursachen hat, wird sich vorderhand nicht so leicht feststellen lassen; jedoch erscheint es nicht unmöglich, daß der zornige Eifer, die Härte und Bitterkeit gegen die Männer, die sich auf den Fraueukongressen bisher fast immer gezeigt und die ruhige Diskussion getrübt haben, bereits ihre schlimmen Folgen gezeitigt haben. Als im Sommer vorigen Jahres die matten Beschlüsse des Reichstags bezüglich der rechtlichen Stellung der Frauen in dem Entwurf des neuen bürgerlichen Gesetzbuches bei den denkenden und urteilenden Frauen lebhaften Unwillen hervorrieseu, weil die vermögensrechtliche Unselbständigkeit der Frauen dadurch aufs neue bekräftigt schien, da war es begreiflich und natürlich, daß die Berliner Frauen sich zu einem feierlichen Protest gegen die ihnen zugefügte gesetzgeberische Unbill im Namen aller gleichdenkendeu Genossen zusammenthaten und nach eingehender und erregter Diskussion eine Resolution einstimmig annahmen, in der die einzelnen Punkte, welche die Rechtsungleichheit der beiden Geschlechter am schärfsten bezeichnen, klar und scharf hervorgehoben wurden.
So weit war alles richtig und verständlich, und es war auch vorauszusehen, daß temperamentvolle Naturen im Eifer der lebendigen Rede nicht gar ängstlich jedes Wort abwägen würden. Es muß aber doch gesagt werden, daß einzelne ! Rednerimien das Maß des Erlaubten durchaus überschritten ! und an Schürfe und Erbitterung gegen Parteien und Personen so viel ausgewendet haben, daß der überzeugte wohlwollende Freund der rechtlichen Selbständigkeit der Frauen gegen diese Maßlosigkeit Verwahrung einlegen mußte. Wenn der frauenfreundliche Abgeordnete Rickert diese scharfei: und ätzenden Worte mit der Summe von Unmut entschuldigte, die sich allmählich in den Herzen der vorwärts strebenden Frauen angesammelt hat und sich nun gewaltsam Luft machen muß, so wollen wir nicht darüber mit ihm rechten; er vergißt aber, daß solche Bitterkeiten und Uebertreibungen, wie sie von einzelnen jüngeren Rednerinnen beliebt worden, einen schlimmen Stachel zurücklasseu und, was hier für uns die Hauptsache ist, der ganzen Frauenbewegung und den völlig berechtigten Forderungen derselben die ernstesten Schwierigkeiten in den Weg legen müssen. Ich erinnere nur au die Worte einer juristisch gebildeten jungen Rednerin, die auch jetzt in Brüssel ihr Licht hat leuchten lasse::. Sie sagte: „Der neue Reichstag wird eine andre Physiognomie zeigen, denn er wird unter dem Einfluß der Frauen gewählt werden. Eine junge Partei ist auf dem Kampfplatz erschienen, und es wäre nicht das erste Mal, daß eine solche Partei moralische Verkommenheit und Fäulnis hinwegsegt". Wenn in: Augenblick der Erregung solche Rodomontaden auch von der Majorität mit den: üblichen „stürmischen Beifall" begrüßt werden, so ist das ironische Lächeln oder die skeptische Miene des besonnenen Hörers dagegen stark in Anschlag zu bringen, denn sie bedeuten den schlimmsten Erfolg, den eine solche Brandrede haben kann. Neuerdings befolgen die einberusenden Damen die richtige Taktik, daß sie vor Eröffnung der Diskussion durch den Mund der Vorsitzenden ernstlich und dringend um Blaß und Ruhe bitten.
Der Ton des Triumphes und der Siegesgewißheit, durchsetzt mit bitteren Ausfällen gegen die bösen und verkommenen
Männer, die sich von der absoluten Gleichberechtigung der Geschlechter noch immer nicht haben erfüllen lassen, hat doch dann nur Fug und Grund, wenn ein unerschütterlich sicheres Fundament für die Frauenbewegung in: Volksbewußtsein der weitesten Kreise ein für allemal gewonnen ist, wenn über alle wesentlichsten Ziele derselben unter allen Gebildeten ein Sinn und eine Meinung herrscht. Es wäre nun aber ein grobes Verkennen der Situation oder eine sträfliche Selbsttäuschung, wenn die Führerinnen au eine solche Ueber- einstimmung in der gebildeten Welt bezüglich der von ihnen erstrebten Ziele ernstlich glauben sollten oder wenn sie gar meinten, daß sie durch kühne und scharfe rednerische Vorstöße neuen Boden für ihre Bestrebungen finden könnten.
Die neuen Rechtsanschauungen über die Stellung der Frau im bürgerlichen Leben dringen sehr langsam in die Massen und bedürfen zu ihrer Verwirklichung unermüdeter, geduldiger und langer Arbeit. Jeder Uebereifer, jede Hast, die sprungweise ihre Ziele erreichen will oder glaubt durch trotzigen Angriff erzwingen zu können, was nur durch ruhige, überzeugende Ueberredung gewonnen werden kann, ist gerade hier unberechenbar schädlich. Es handelt sich bei der Frauenbewegung noch immer um die ruhige und sichere Befestigung des Fundaments, zu der wir in erster Linie die Erweiterung der Erwerbsfähigkeit der Frau zu rechnen haben.
Läge die Sache anders und wäre dies Fundament mi Bewußtsein und Urteil der Gebildeten bereits gesichert, so wäre die Ablehnung der bekannten Petition von Helene Lange und Marie Mellien um freie Zulassung der Frauen zun: Besuch der Universitäten in der Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 24. Juni eine Unmöglichkeit gewesen! Die Bedeutung dieses parlamentarischen Ereignisses ist meines Wissens von den Zeitungen gar nicht erörtert worden, nur die Verhandlung selbst mußte für sich sprechen. Und diese Thatsache ist bedauerlich. Den:: durch sie :st einstweilen jede Aussicht beseitigt, den wahrhaft unerträglichen Verationen, die dem akademischen Studium der Frauen in einen: aus seine Kultur mit Recht stolzen Lande auf Schritt und Tritt begegnen, endlich ein Ziel gesetzt zu sehen. Da man nicht annehmen darf, daß die Abgeordneten etwa aus Groll über die ihnen gelegentlich seitens der Frauenrechtlerinnen gespendeten „Höflichkeiten" die genannte Petition durch Uebergang zur Tagesordnung nbgelehnt haben, so darf mau bis aus weiteres annehmen, daß die Fraucn- srage für die Majorität unsrer Volksvertreter noch nicht Gegenstand ernsten Studiums geworden ist, wie sie es verdient. Tie Debatte würde sonst nicht an der Oberfläche stehen geblieben sein, sonder:: die tiefere sittliche Bedeutung einer vertiestereu Beschäftigung der Frauen mit unser::: geistigen Leben dargelegt haben. Außer dem Abgeordneten Rickert, der kurz und bündig die Zulassung der Frauen zum Studium forderte und die Befürchtung eines Wettbewerbs wegen der geringen Zahl der Bewerberinnen als völlig überflüssig abwies, stand nicht ein Redner auf der Höhe der Situation, das heißt: nicht einer wußte das notwendige „kräftige Wörtlein" für die Freigabe des Franenstudiums auszusprechen, nicht einer die Ungerechtigkeit hervorzuheben, die grell zu Tage tritt, wenn inan die Willenskraft und Ausdauer von geistig leistungsfähigen Mädchen durch einfache Negation lahm legt. Wer in seiner amtlichen Thällg- keit diese Leistungsfähigkeit an einem großen Kreise erwachsener Mädchen kennen und würdigen gelernt hat, der wird jener Härte des Versagens nur mit ernste»: Bedauern gegenüber- j stehen. Die von der Berliner Universität zu Anfang des ! vorigen So»ii»erse:nesters erlassenen Bestimmungen für die Zulassung von Frauen zu den Universitätsstudien boten eine solche Häufung von Erschwernissen, daß den Frauen that- sächlich nichts andres übrig blieb, als durch eine Petition an das Abgeordnetenhaus den entscheidenden Versuch zu machen, sich freie Bahn für ihre Bestrebungen zu schaffen.