Heft 
(1897) 06
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Weöer Land und Weer

jüngern Herren, gab es Leute, die über diese Eigen­heit ihre eignen Gedanken verrieten; seitens der Schüler aber war mir bisher niemals ein Versuch der Auflehnung gegen eine so bequeme Methode bekannt geworden. Diesmal aber lag einschreiender Fall" vor, wie Kollege Oudemans nicht mit Unrecht meinte.

Das Thema mir schon aus zehn Jahrgängen der Unterprima bekannt lautete:Die Gefahren des Reichtums", und das Hauptgewicht war dabei nach der Disposition zu legen auf denAbschnitt der Abhandlung" B, c, aa, worin nachgewiesen wurde, wie oft im Genüsse des Reichtums die herrlichsten Talente verkümmern, während aus Armut und Not die führenden Geister der Menschheit auswachsen. Unser Kollege hatte es im Anhang zu seiner Dis­position nicht au Beispielen für beides fehlen lassen, von dem reichen Thunichtgut Alkibiades und dem armen, aber weisen Sokrates an bis auf zahlreiche große Dichter und Erfinder der Neuzeit. Der Unter­primaner Leopold Klinger aber schob diesen Punkt der Disposition sehr kühl mit einemAndrerseits jedoch" beiseite und führte sodann aus, daß eine gewisse Unabhängigkeit von Erdensorgeu, ja ein frühes und reichliches Blaß des Besitzes für das Talent die mächtigste Förderung sei, und daß Zum Beispiel Goethe vor Schiller von vornherein einen unendlichen Vorteil gehabt habe, der sich schon in den Verhält­nissen ihrer Kinderjahre und vielleicht noch deutlicher darin zeige, daß der eine in Weimar als Minister mit zwölfhundert Thalern Anfangsgehalt und der andre in Jena als außerordentlicher Professor mit zweihundert Thalern begonnen habe. Wer irgendwie einen fördernden Einfluß auf seine Zeitgenossen aus­üben solle, müsse vor allem im stände sein, jederzeit als ein Glied der gebildeten Stände seiner Zeit zu erscheinen; dazu gehöre aber außer Kenntnissen, guten Sitten und schicklichem Benehmen auch eine gewisse pekuniäre Unabhängigkeit, und selbst Kennt­nisse und Benehmen seien für den Armen von Haus aus schwerer anszubilden als für den Wohlhabenden. Und so müssen wir sagen, daß in dieser Beziehung die Armut gefährlicher ist als der Reichtum, und daß die großen Geister, welche aus armen Hütten hervorgegangen sind, nicht wegen, sondern trotz ihres Ursprungs sich durchrangen."

Wissen Sie, was das ist? Das ist ja der pure Klassenhaß, Herr Direktor!" sagte Kollege Oudemans. Ich hatte Muhe, ihn einstweilen zu beruhigen. Nach­her, während ich in meinem Amtszimmer auf den widersetzlichen Primaner wartete, las ich den Aufsatz noch einmal in Ruhe durch. Eine gute Arbeit, stilistisch sauber vieles gewiß sehr einseitig ge­dacht aber du lieber Gott, mit der These uusers Oudemans war das auch so eine Sache; er selber war von Hans aus ein wohlhabender Mann und doch unermüdlich als Vorkämpfer bei allen Petitionen um bessere Gehaltsverhältnisse und dergleichen; auch hieß es, daß er ziemlich eifrig und erfolgreich in Papieren spekuliere persönlich schien er jedenfalls vor den Gefahren des Reichtums nicht zurückzu- schrecken.

Leopold Klinger blieb auch mir gegenüber bei

seiner Meinung. Daß er den Herrn Professor so - sehr damit geärgert habe, schien er ganz aufrichtig ! zu bedauern, aber er könne doch, schon um seiner Ehre willen, nicht das Gegenteil von dem schreiben, was er glaube. Er sagte das alles in einem be­scheidenen, aber festen Tone, der sehr gut zu dem hübschen, scharf gezeichneten blassen Gesichte und der ruhigen Höflichkeit seiner Manieren paßte. Bis jetzt hatte ich wenig Gelegenheit gehabt, den jungen Mann zu beobachten; er war erst zu Beginn des Semesters mit seiner Mutter, der Witwe eines kleinen Be­amten, in unsre Stadt gezogen. Glänzend schienen ihre Verhältnisse nicht Zu sein, seine Kleidung war abgetragen und verriet, daß ihr Träger neuerdings noch gewachsen war, aber sie war tadellos sauber gehalten. Es lag etwas unleugbar Vornehmes in dem ganzen Wesen dieses Schülers.

Seit dieser Zeit nahm ich mich des jungen Klinger inehr an, und er bewies mir in seiner stillen Art eine herzliche Dankbarkeit. Unter seinen Mit­schülern schien er eine Art Respektstellnug einzunehmen, intimere Freunde hatte er wohl kaum unter ihnen, war freundlich mit allen und vorab in allen Ehren­fragen der anerkannte Führer der gerade in diesem Punkte bekanntlich sehr empfindlichen jungen Herr­schaften. Auch die Kollegen rühmten seinen Fleiß, seine Offenheit und sein ernstes Streben. Nur mit unserm guten Oudemans hatte er es seit jenem Zwischenfall verschüttet. Der betrachtete ihn mit Mißtrauen, sogar in der äußeren Sauberkeit und Höflichkeit des jungen Mannes schien er so etwas wie einen stillen Vorwurf gegen feine eigne etwas saloppe Erscheinung und Redeweise zu wittern. Er war auch der einzige, der im Kollegium mit Nein stimmte, als wir Leopold Klinger nach rühmlichft bestandenem Abiturientenexamen das alle vier Jahre frei werdende große Stipendium Anerkannten, das der Landesfürst bei unserm Jubiläum gestiftet hatte, und dessen Verleihung uns Zustand.

Als Leopold Klinger sich bei mir verabschiedete, um als Student der Philologie die Universität zu beziehen, kamen wir auch einmal wieder auf jenen Aufsatz zu sprechen. Ich zeigte ihm die Stellen, welche von den zornigen roten Strichen und Frage­zeichen des Kollegen Oudemans am buntesten um­rahmt waren.Sehen Sie, mein Lieber, da haben Sie aber auch wirklich zu schroff geurteilt. Nehmen Sie sich selber als Beispiel Sie haben sich red­lich heraus- und durchgearbeitet wie ich mit Freuden gehört habe, sind Sie ja auch während des letzten Jahres in mehreren unserer meistbegüterten Bürgerfamilien ein häufiger und gern gesehener Gast gewesen," aber da sah er mich mit einem so bitteren Blick au, daß es mir ordentlich die Rede abschnitt

Ich hatte ihn selbst in jene Häuser eingeführt, das heißt, ich hatte ihn an reiche Leute empfohlen, die für ihre jüngeren Söhne jemand Zur Nachhilfe und Beaufsichtigung bei den Schularbeiten brauchten. Nachher war er denn wohl auch zu Gesellschaften und dergleichen eingeladen worden. Das macht sich so von selbst. Und ich erinnere mich noch mit inniger Dankbarkeit an ein Haus, wo ich selbst als junger