Heft 
(1897) 06
Seite
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Die Erschwerung des Irauenstudiums.

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Nicht ganz so hoch an natürlicher Klasse als die beiden Vorgenannten stehen der Grazer BrunoBnchner und der Berliner Arthur Hei mann. Beide haben eine lange, erfolgreiche Nenncarriere hinter sich, die sie in erster Linie einein scharfen, mit äußerster Konsequenz durchgeführten Training und der denkbar vollkommensten Beherrschung der Renntechnik verdanken. Heimanns Glanzzeit fällt in die Jahre 1894 bis 1896, wo er unter den deutschen Fahrern die Stelle Lehrs einnahm und sich namentlich bei dem Berliner Publikum einer großen Beliebtheit erfreute. Er zählt heute, ebenso wie Büchner, 26 Jahre und dürfte auch in den kommenden Jahren immer noch bei großen Ent­scheidungen mitsprechen. Büchner, ein geborener Reichs­deutscher, der sich aber lange in Graz aufhielt und daher unter österreichischen Farben fährt, ist von Hause aus Straßen­fahrer. Er wußte sich im Jahre 1893 bei der Distanz­fahrt Wien-Berlin ohne jede Unterstützung als achter zu plazieren und schuf sich dann bei Distanzfahrteu namentlich in Oesterreich einen ehrenvollen Namen. Aus der Renn­bahn erscheint er erst seit dem Frühjahr 1896. Damals bildete er mit dem Belgier Hu et das beste Tandempaar der Welt. Mit diesem sowohl als auch allein auf Nieder­rad brachte er es zu sehr achtbaren Erfolgen in Berlin und Wien, sowie in Rußland, Frankreich und Belgien. Nachdem Huet das Fahren aufgegeben hatte, that Büchner sich mit dem Wiener Seidl zusammen, und diese beiden, sowie Heimann und sein Berliner Partner Mulnck, zahlen hecite noch zu den besten Tandempaaren der Welt.

Von den ausländischen Größen stehen die beiden Franzosen M orin und B o u rrillo n in der vordersten Reihe. Jeder von ihnen besitzt eine Art Domäne in der Renutechuik, auf der er unerreicht dasteht. Morin, ein schwarzlockiger Süd- Mmzofe mit weichen, träumerischen Sammetaugen, die aber im Moment der Erregung in leidenschaftlicher Glut auf­blitzen können, ist unbedingt der schnellste Fahrer der Welt, wenn es sich um einen kurzen Spurt von 150 bis 200 Nietern handelt. Seine Hauptstärke besteht in der Fähig- ttit, gegen das Ende eines solchen Spurtes noch einmal mir erhöhter Schnelligkeit eiuzusetzen, also im Spurt zu Spurten. Das klingt etwas sonderbar, entspricht aber genau den Thatfacheu. Nur vermöge dieser Fähigkeit konnte Morin dreimal hintereinander im Pariser Grand Prix den «sieg davontragen, bei dem ihm teilweise allerdings noch das Glück zu Hilfe kam. Im Auslands dagegen konnte Morin nie eine besondere Rolle spielen; 1896 wurde er zum Beispiel in Berlin von Arend geschlagen. Er ist speziell auf die technisch vollkommenen Pariser Bahnen ge­eicht. Sein gefährlichster Konkurrent, Paul Bourrillon, ebenfalls ein Südfranzose, ist der Meister des schnellen An- u ittes, das heißt der Kunst, seinen Gegnern im Endkampfe vermöge eines kurzen, blitzschnellen Vorstoßes um mehrere dangen davonzugehen, die sie dann bis zum nahen Ziel nicht mehr eiuzuholen vermögen. Auf diese Weise gewann Bourrillon die großen Preise von Hannover, Coblenz und Berlin und unzählige andre Siege. Beide Franzosen stehen seit etwa drei Jahren aus der Höhe ihres Könnens.

Etwas älter ist der Ruhm Jaap Edens, der sich schon im Jahre 1892 den ehrenvollen Beinamender fliegende Holländer" erwarb und von diesem Jahre an als der ge­fährlichste Gegner Lehrs galt. Jaap Eden, eine außer­ordentlich sympathische Erscheinung, ist das Muster eines Athleten. Er hesitzt einen wundervoll ebenmäßigen Körper­bau und kann als das Ideal männlicher Kraft und Schön­heit gelten. Bevor er seine Rennlaufbahn antrat, hatte er bereits die Weltmeisterschaft im Schlittschuhlaufen errungen, der dann 1894 und 1895 die Amateur-Weltmeisterschaften im Radfahren zu Antwerpen und Köln folgten. Im letzten Jahre ist Jaap in der Form etwas zurückgegangen, doch konnte er immerhin im Juli noch den großen Preis

von Leipzig gegen Büchner und Bourrillon nach Hause bringen.

Der letzte, aber nicht der schlechteste in der Reihe ist der Engländer I. F. Barden, ein Fahrer, der nicht nur sehr schnell ist, sondern auch in Dauerrennen Vorzügliches leistet. Da er nebenbei über eine ausgezeichnete Technik verfügt, so gilt er überall als sehr gefährlicher Gegner. Im großeil Preis von Hannover endete er hinter Bour­rillon als zweiter vor Areud. Bei der Glasgower Welt­meisterschaft mußte er dagegen die Ueberlegenheit des Han­noveraners anerkennen. Er hat wiederholt die Meisterschaft von England gewonnen und ist zweifellos der beste Fahrer im Mutterlands des Sportes. A. Sch.

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Unser Tableau mit Porträts berühmter Rennfahrer er­gänzen wir noch durch ein Sonderbild (Seite 49), das nach einer Momentaufnahme den Dauerfahrer Alfred Köcher mit seinen Schrittmachern zeigt. Bei den Radrennen, die zum Besten der Ueberschwemmten im Sportpark Friedenau- Wilmersdorf bei Berlin veranstaltet wurden, gelang es Köcher, den bisher von Joseph Fischer gehaltenen Welt­rekord über 3000 Meter von 3 Minuten 32 Sekunde» auf 3 Minuten 3lT/g Sekunden herabzudrücken. Auch den 100 Kilonieter-Straßenrekord hat Köcher um etwa 6 Minuten verbessert in dein er die Strecke Zossen-Lübben-Zossen in 2 Stunden 61 Minuten 53stg Sekunden zurücklegte.

Me Kefaljrm des KeWilms.

Aus den Papieren des Herrn Direktors.

Herausgegeben van

Ernst Muvllenbach.

llMnlser Oberlehrer, Kaspar Oudemans bei ULÄAl den Schülern, und ich fürchte, auch bei den jüngeren Kollegen, führte er den Spitz­namen Nestor, mit dein erklärenden Zusatzder alte Zecher" wußte seine Unterprimaner im allgemeinen recht gut Zu nehmen, und nur sehr selten sah er sich veranlaßt, eine Meinungsverschiedenheit bis vor meine direktoriale Instanz Zn treiben. Als alter Junggeselle und geborener Holländer hatte er natür­lich seineEigenheiten", die aber den Schülern schon längst durch Ueberliefernng bekannt waren, und so­lange man diese Eigenheiten achtete, sah er die Disei- plin als durchaus gewahrt an. Eines Tages aber kam er Zn mir, so erregt und eilig, als es ihm seine Konstitution gestattete, mit einem offenen Hefte in der Hand: ein Unterprimaner lind noch obendrein der neue, der Primus habe in seinen: deutschen Aufsatz die Disposition völlig aus den Kopf gestellt und absichtlich das Gegenteil von dem behauptet, was zu beweisen war.

Das war nun allerdings ein Hauptverbrechen; denn es gehörte zu den allereigensten Eigenheiten nnsers Kollegen Oudemans, daß er für seine deutschen Auf­sätze eine möglichst kongruente Gedankenentwicklung in sämtlichen dreißig Primanerköpfen verlangte, am Leitseil der Disposition, die er selber genau formu­liert, mit kunstvollen und holländisch sauberen Ab­stufungen in A, B, C, a, b, c und' aa, bb, cc zu geben Pflegte. Unter den Kollegen, besonders den