Die gefahren des Reichtums.
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Student so hereinkam und mit der Zeit ein Heim fand, da? mir fast das früh verlorene Vaterhaus ersetzte. Aber freilich, es giebt viele reiche und gastfreie Häuser, aber wenige, in denen auch die Herzen reich sind und gern mitgeben. Und vielleicht hatte ich meinem jungen Schützling selber die Belege für sein altes Vorurteil in die Hand gegeben.
Ich habe immer daraus gehalten, daß meine Kenntnis vom Lebenswege meiner Schüler nicht mit dem Austritt aus der Schule abschnitt. Leopold Klinger machte es mir leicht, seine ferneren Bahnen zu beobachten, und erfreulich. Unter den Hörern seiner Professoren zeichnete er sich alsbald ebenso aus wie aus der Schule. Auch die studentischen Freuden verschmähte er nicht. Es muß ihm Zuweilen recht schwer gefallen sein, mit seinen Mitteln sich in der ziemlich „nobeln" Verbindung zu behaupten, der er beigetreten war. Aber er brachte es fertig, ohne sich etwas zu vergeben, trotz aller mißgünstigen Prophezeiungen unsers alteil Oudemans, der um diese Zeit mit dem Professortitel pensioniert wurde, aber durchschnittlich einmal in der Woche mich aufsuchte, um über die Schicksale der Schule und ihrer Angehörigen auf dem Laufenden zu bleiben — ein gemütlicher Plauderer und eine ganz friedliche Seele, aber in einem einmal gefaßten Vorurteil fo unerschütterlich, wie nur ein Holländer und ein alter Junggesell sein kann.
Ganz wesentlich bestärkt wurde er in diesem Vorurteil, als er den jungen Doktor Klinger Zum erstenmal als Probekandidaten auf unserm Schulhof sah. „Da haben Sie's, Herr Direktor," sagte w, „da sehen Sie nur! Meinen Sie denn, daß ein Mensch, der sich so stutzerhaft ansputzt, einmal ein ordentlicher alter Schulmeister wird wie Sie oder ich?" Und ich muß gestehen: daran zweifelte ich auch, aber aus andern Gründen. Unser ehemaliger Schüler hatte sich nach bestandenem Examen an unsre Anstalt überweisen lassen, seine Mutter lebte damals noch, kränkelte aber schon seit langem, es war begreiflich, daß er in ihrer Nähe zu sein wünschte. Eine sehr hübsche, stattliche Erscheinung war er geworden, dazu in Kleidung und Benehmen immer mdellos korrekt — Professor Oudemans nannte das stutzerhaft, es war aber merkwürdig, welchen Ein- iluß der junge Mann gerade durch diese gesellschaftliche Korrektheit sogleich aus die Schüler gewann. Ich hatte ihn meinem Grundsatz gemäß gleich tüchtig berangezogen, ihm unter anderm etliche Vertretungsstunden in einer recht schwierigen Klasse gegeben, bei denen ich nur so gelegentlich einmal hineingnckte, aber gleich von der Zweiten halben Stunde an hatte er die aufsässigen Jungens gründlich in der Gewalt, ohne viel Schelten oder Strafen. „Ich weiß nicht," tagte unser alter Religionslehrer einmal ganz nachdenklich im Konferenzzimmer, „unsre dermalige Obertertia ist mir immer wie ein besonders deutliches Beispiel für die Kraft der Erbsünde vorgekommen, aber bei diesem jungen Menschen benehmen sich die Bengels wie die reinen Gentlemen."
Bei alledem merkte ich aber wohl, daß es Leopold Klinger in seiner Stellung keineswegs behagte.
Ueber Land und Meer. Jll. Okt.-Heste. XIV. 6.
Er hatte den Entwurf einer größeren fachwissenschaftlichen Arbeit von der Universität mitgebracht, soviel ich alter Schulmensch noch davon verstand, war es eine ganz vorzügliche Idee, und er schien nur ganz der Rechte, um sie anszuführen. Als ich ihn nach einiger Zeit einmal fragte, wie denn die Sache fortschreite, schüttelte er trübe lächelnd den Kopf: „Langsam oder gar nicht". Nun ja, Gehalt bekam er natürlich noch nicht, in zwei Jahren vielleicht. Da mußte er denn froh sein, wenn er Gelegenheit fand, durch kärglich bezahlte Privatstunden und dergleichen so viel Zu verdienen, daß es zusammen mit der knappen Witwenpension ansreichte — für ihn und vor allem für die kranke Mutter, der er es gewiß an nichts fehlen ließ. „Sehen Sie," sagte der Professor Oudemans einmal, als ich ihn besuchte — er saß gerade beim zweiten Frühstück, sehr behaglich — „so geht es nun mit so einem jungen Obenhinaus. Elegant anssehen, ja, und auftreten kann er wie ein Fürst, aber wo er abends einen warmen Bissen hernehmen soll, das weiß er vermutlich nicht." — „Aber, Verehrtester, dafür kann er doch nichts. Was soll denn einer anfangen, wenn er nichts hat?" Unser alter Kollege sah mich einen Augenblick etwas verlegen an, dann machte er sich mit seinem Spickaal zu schaffen. „Warum hat er studiert? Wenn er sich mit einem Handwerk begnügt hätte — oder er konnte ja Commis werden oder so was — da hätte er jetzt sein feines Allskommen. Aber so was will innner oben hinaus," brummte er, sehr im Widerspruch zu seinen schönen Aufsatzdispositionen.
Ja, wenn er Kaufmann geworden wäre! Niein Schulkamerad Johann Simonis war es geworden und hatte sein Glück dabei gemacht. Glück im Geschäft, Glück in der Ehe — zweimal nacheinander reich geheiratet — er war Geheimer Kommerzienrat geworden, ehe ich mit der Ernennung zum Gymnasial- direktor den Gipfel meiner Träume erreichte. Das heißt, jetzt war er Geheimer Kommerzienrat a. D. — vor einem Jahr hatte er auf seinem Landgut Hohnsdorf, das eine Stunde von unserm Städtchen liegt, das Zeitliche gesegnet. Es war ein glückliches Leben gewesen. Freilich, wenn einer den Beruf hat und das Glück dazu —
So weit war ich mit meinem Simulieren ans dem Heimweg von dem Professor gekommen, als mich der Briefbote anrief und mir ein zierliches Schreiben überreichte — Damenschrift, Veilchenduft, so was bekommt unsereins oft genug, aber selten steht etwas Erfreuliches darin: meist ein beredter Nachweis, daß das Söhnchen eigentlich das bravste und begabteste Kind von der Welt sei, — ach, wenn es doch nur einen Lehrer gäbe, der diese so fein veranlagte junge Seele besser Zn erfassen vermöchte! — aber nicht wahr, Herr Direktor, Sie nehmen sich meines Sohnes an, und so weiter.
Na, diese wollte auch einen Lehrer, aber sie wünschte nicht bloß, daß er ihre Gutedel an der zart besaiteten Seele faßte, sondern wenn's nor thäte, auch einmal bei den Ohren, und sie appellierte nicht an den Herrn Direktor, sondern an den
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