58
Uelicr Land und Weer.
Jugendfreund ihres verstorbenen Gatten — und kurz, ^ es war die verwitwete Frau Geheimrat, die einen Erzieher auf vier Jahre für ihre beiden Knaben wünschte, Amtssitz: Haus Hohnsdorf, Kompetenz: die denkbar größte, gesellschaftliche Stellung „wie unsereins", Gehalt — du lieber Gott, so viel hatte ich noch lange nicht, als ich meine Jda heimsührte
— aber Hauptbedingung: fester Charakter, vornehme Gesinnung und weltmännisches Benehmen — „gulto o gootlmrmir". „Es scheint wirklich schwer zu halten, einen solchen Herrn zu finden — aber nicht wahr, verehrter Freund, Sie finden einend"
Was finden?! Ich hatte ja schon einen.
So gewissenlos war ich aber doch nicht, meinem jungen Kandidaten die Gegengründe ganz zu verschweigen, als ich ihm die Stelle anbot. „Bedenken Sie wohl, es ist eine glänzende Stellung, aber gerade die glänzendsten von der Art sind, wie der alte Aristoteles von der Tyrannis sagt: ein schöner Platz, ^ aber ohne Ausgang. Aus vier Jahre ist es, im ^ Staatsdienst werden Ihnen diese vier Jahre nicht angerechnet. Sie können in diesen vier Jahren Ihr ^ Buch schreiben. Sie können aber auch nach der - Zeit genau da wieder ansangen, wo Sie jetzt stehen, j nur um vier Jahre älter, und verwöhnt, verweich- ^ licht durch die Genüsse eines vornehmen Lebens, die Sie auf vier Jahre leihweise bekommen hatten. Es . kann Ihr Capua werden..." ^
So machte ich ihn fein aus alles aufmerksam, ! was mir Bedenkliches in der Sache schien. Ordentlich ! beredt wurde ich dabei. Nach alledem überraschte > es mich natürlich nicht, daß er doch annahm. Ich ! tonnte mir das denken — schon um seiner Mutter ^ willen. Und dann die Wissenschaft. Schließlich aber ! auch — die andre Umgebung. Ter Mann ver- ^ kümmerte einfach bei uns. Nur eines bedang er j sich aus: daß ich jedes Jahr eine strenge Prüfung über die Fortschritte seiner beiden Zöglinge abnähme. Der Mutter war's recht, und mir natürlich auch.
„Na, sehen Sie, jetzt ist es richtig," brummte der Professor Ondemans. „Jetzt ist er ja in seinem Element, der junge Gernprotz. Und wenn er dann nach vier Jährchen wieder in die Staatssielen soll, j dann ist ihm zu Mute wie einein armen Mann, ! der auch mal Austern mit Sekt gekriegt hat. Und ! dann wird er einer von den Malkontenten im Lande. ^ Als ob wir deren nicht schon genug hätten!" !
Einstweilen ging die Sache aber recht schön. ? In seinem Element war unser junger Doktor allerdings jetzt; das merkte ich bei meinen Besuchen auf Haus Hohnsdors zur Genüge. Die beiden Knaben
— hübsche, frische Burschen — hingen bald an ihrem Erzieher mit wärmster Liebe und machten auch in den Wissenschaften die schönsten Fortschritte, obzwar sie keineswegs von Ueberbürdung zu klagen hatten, im Gegenteil, Doktor Klinger ließ sie ihres Lebens recht froh werden, ritt mit ihnen ans, turnte, machte Ausflüge mit ihnen und so weiter. Auch seine Mutter erhielt — kurz vor ihrem Tode — j den Besuch der Knaben und freute sich über ihre ^ Anhänglichkeit an den Lehrer. Daneben fand der Doktor immer noch reichlich Muße zu eignen Ar
beiten. Betreffs seiner gesellschaftlichen Stellung hatte die Frau Geheimrat nicht zu viel versprochen. Sie behandelte ihn während ihrer meist nur wenige Wochen dauernden Besuche auf Hans Hohnsdori — meist war sie „gesundheitshalber" auf Reisen — durchaus ans dem Fuße sozialer Gleichheit und dankte mir aus das wärmste, daß ich ihr jemand vermittelt habe, den man so behandeln dürfe. Schwierig schien mir die Stellung des jungen Erziehers nur gegenüber einer Persönlichkeit, die bei Abschluß des Kontrakts freilich von keiner Seite in Betracht gezogen worden war. Das war die Stieftochter der Frau Geheimrat, Gisela Simonis, das einzige .Kind ans der ersten Ehe meines verstorbenen Schulfreundes. In den Augen junger Herren ihres Standes mochte sie eine Schönheit sein, war es ja wohl auch ihren äußeren Reizen nach: klug war sie wohl auch und wußte von allem etwas, sogar polnisch sprach sie von ihrem Aufenthalt bei Verwandten in Posen her; im ganzen aber erschien sie mir als eine richtige verbildete und nervös verhetzte junge Weltdame mit einem kräftigen Zug von Eitelkeit. Unsereins hat ja schließlich durch Alter und Amt einen Würdenpanzer, der gegen etwaige Circegelüste schützt, aber für meinen jungen Freund war das doch eine bedenkliche Sache. Uebrigens war das junge Mädchen — sie mochte kaum achtzehn Jahre zählen, als ich sie zuerst sah — die eigentliche Eigentümerin von Hans Hohnsdorf, das zu ihrer mütterlichen Erbschaft gehörte. Die Firma Johann Simonis war schon bei Lebzeiten ihres Begründers in eine Aktiengesellschaft verwandelt worden; von den Aktien mochte auch wohl ein netter Teil jenem jungen Weltdämchen gehören, und es kam mir vor, als ol sie sieh dessen etwas zu genau bewußt sei.
Im dritten Jahre siedelte Doktor Klinger mi, seinen Zöglingen während des Winters nach der Residenz über — der Arzt hatte es gewünscht; und ich freute mich ordentlich ungeduldig daraus, wem sie mit den Anemonen und Amseln wieder am Hohnsdorf einzögen „zur Osterprüfung". Aber karr vor Ostern überraschte mich plötzlich die Frau Ge heimrat höchstselbst mit ihrem Besuche. Sie sei gestern mit den Knaben auf Hohnsdors angelancg und bitte mich, die Prüfung diesmal allein abzn- halten. Herr Doktor Klinger sei aus seiner Stellung geschieden und gedenke sich zu Beginn des Sommersemesters an der Universität zu habilitieren. Und dann verkündete sie mir ganz im Vertrauen dm große Ereignis: Doktor Klinger habe sich heimlich mit ihrer Stieftochter Gisela verlobt.
Das stimmte nun doch zu seltsam mit gewisse:: Prophezeiungen, die Professor Ondemans an meine gelegentliche Erzählung von meinem Zusammentreffen mit der jungen Erbin auf Hohnsdorf geknüpft hatte, und die einen sehr häßlichen Zug im Charakter meines Schützlings voranssetzten. Und einen Augen blick war es mir: sollte der alte, mißtrauische Junggeselle diesmal doch recht gesehen habend Es mag sein, daß ich mit Wort oder Blick sogar etwas von diesem Argwohn verriet, denn die Frau'Geheimrat sagte lebhaft: „Nein, verehrter Herr Direktor, lassen